In der Causa um manipulierte Abgaswerte bei VW-Autos gibt es ein bemerkenswertes Urteil. Das Landesgericht Eisenstadt hat erstmals den Stickoxid-Ausstoß auf der Straße gemessen - vor und nach dem Software-Update. Das Ergebnis "frappiert" die Richterin: Nach dem Update wurden die Schadstoffwerte noch immer um 77 Prozent überschritten.
Das nicht rechtskräftige Urteil, das der APA vorliegt, ist laut Klägeranwalt Michael Poduschka "sensationell" und birgt "enorme Sprengkraft". Durch das Software-Update von VW seien die Mängel nicht beseitigt worden, der rechtswidrige Zustand bestehe also fort. Eine Überschreitung der NOx-Werte um mehr als 200 Prozent vor dem Update berechtige zur Irrtumsanfechtung.
Die Burgenländer Kläger dürfen dem Urteil zufolge vom Vertrag zurücktreten, können also die Rückabwicklung ihres Autokaufs verlangen. Arglist durch den beklagten Autohändler lag nicht vor, so das Gericht.
Test auf der Straße
In dem Verfahren ging es um den CO2- sowie NOx-Ausstoß und den Dieselverbrauch des Audi Q3. Die Kläger argumentierten, sie hätten das Auto nicht gekauft, wenn sie gewusst hätten, dass eine eingebaute Schummelsoftware den Schadstoffausstoß auf dem Prüfstand nach unten drücke, während im Realbetrieb die gesetzlich vorgeschriebenen Schadstoffgrenzwerte massiv überschritten würden und das Auto viel mehr Treibstoff schlucke als versprochen. Auch nach dem Software-Update stoße der Audi mehr aus als erlaubt.
Die Richterin ließ das Fahrzeug auf CO2- und NOx-Ausstoß sowie Verbrauch testen - am Prüfstand und auf der Straße, vor und nach dem Update.
Hinsichtlich Dieselverbrauch und Kohlendioxidemissionen war alles OK. Sowohl vor als auch nach dem Update wurden die zugesagten bzw. gesetzlichen Grenzwerte im Großen und Ganzen eingehalten, am Prüfstand und auf der Straße.
Mehr Schadstoffe auf der Straße
Anders beim NOx-Wert: Am Prüfstand wurde er vor dem Update eingehalten - weil sich dank Schummelsoftware der Saubermodus einschaltete. Auch nach dem Update waren die Prüfstandswerte in Ordnung. Im Realbetrieb hingegen wurden die NOx-Grenzwerte dramatisch überschritten: vor dem Update um 247 Prozent und nach dem Update immer noch um 77 Prozent, wie aus dem Gerichtsgutachten hervorgeht.
Für den Autokäufer wäre laut Gericht ein Überschreiten der Prüfstandswerte von "allenfalls" 20 bis 30 Prozent "noch akzeptabel" gewesen, "ein Überschreiten von Schadstoffgrenzwerten von 247 Prozent vor bzw. 77 Prozent nach dem Update jedoch frappiert", stellt die Richterin fest.
Der Volkswagen-Konzern, zu dem auch Audi gehört, hat bisher immer argumentiert, es gebe keine Grenzwerte für den Realbetrieb, darum könnten diese auch nicht überschritten werden.
Das lässt das Landesgericht Eisenstadt nicht gelten und verweist auf die Vorgaben der entsprechenden EU-Verordnung (EG 715/2007), auf die sich VW selbst auch beruft. Demnach muss ein Fahrzeug "unter normalen Betriebsbedingungen" den Vorgaben der Verordnung entsprechen. Es wird zwar nicht erwartet, dass die unrealistischen, für den Prüfstand konzipierten Grenzwerte auf der Straße zu 100 Prozent eingehalten werden, ein derart exorbitantes Überschreiten wie beim Audi Q3 ist aber viel zu viel.
Basis für Schadenersatz
Ziel der Verordnung und damit auch der Erwartung der Autokäufer ist, so das Gericht, "dass die Grenzwerte der Verordnung im realen Straßenbetrieb, welche die normalen Betriebsbedingungen am meisten umfasst, (annähernd) erreicht" werden. Während dies beim CO2-Ausstoß und beim Dieselverbrauch sehr wohl gelungen sei, sei "dies mit dem gegenständlichen Update hinsichtlich der NOx-Werte nicht geschehen und ist diesbezüglich eine Klaglosstellung nicht erreicht".
Anwalt Poduschka, der die Kläger vertreten hat, hält diese Begründung nicht nur rechtlich für richtig, sondern auch vom "gesunden Menschenverstand" her. Eine Überschreitung des Treibstoffverbrauchs gegenüber den Herstellerangaben um 30 Prozent sei hinzunehmen, jedoch nicht um fast 80 Prozent.
"Mit den weiterhin bestehenden Rechtswidrigkeiten kann man aus meiner Sicht auch in den Schadenersatzprozessen gegen Volkswagen argumentieren", meint der oberösterreichische Rechtsvertreter.
Sammelklage: Anmeldung noch bis 20. Mai
Vom Abgasskandal betroffenen Autobesitzern mit Rechtsschutzversicherung rät Poduschka, bald zum Anwalt zu gehen, um ebenfalls eine Entschädigung für die Wertminderung durch die Manipulation zu bekommen. Wer nicht gegen Prozesse versichert ist, sollte sich an den Verein für Konsumenteninformation (VKI) wenden, der eine Sammelaktion initiiert hat. Die Anmeldefrist dafür endet am Sonntag, 20. Mai.
Gegen das Eisenstädter Urteil will Poduschka übrigens berufen. Dem Anwalt ist der vom Gericht zugesprochene Betrag von 21.000 Euro inklusive Zinsen zu gering, schließlich habe der Audi Q3 im Jahr 2013 etwa 40.000 Euro gekostet. Die Richterin sei bei der Berechnung der Wertminderung des Fahrzeugs von einer unrichtigen Rechtsmeinung ausgegangen. "Wir glauben, dass den Käufern zwischen 30.000 und 35.000 Euro zustehen."