Nach der dramatischen Entwicklung der Kryptowährungen sprechen viele von einer Spekulationsblase. Wie erkennt man so eine Blase?
Christian Nemeth: Es hat immer Überhitzungen gegeben, aber bei einer Blase geht der Kurs eines Vermögenswerts innerhalb kurzer Zeit massiv nach oben, ohne dass es jetzt dafür eine fundamentale Rechtfertigung gibt. In Folge kommt es in der Regel auch schnell zu einem deutlichen Rückgang oder sogar zum Zusammenbruch.
Kann man von einer Blase auch profitieren?
Davon kann man nur abraten, das ist sehr gefährlich. Man erkennt erst, ob es eine Blase war, wenn sie geplatzt ist. Es ist sehr schwierig, vorher herauszufinden, wo man steht, am Anfang der Blase oder bei dem Punkt, an dem sie platzt. Eine Blase ist Spekulation. Das hat mit Veranlagung nichts zu tun, sondern es ist ein Ritt auf dem Vulkan.
Die Entwicklung der Kryptowährungen wird gerne mit der Dotcom-Blase Anfang des Jahrtausends verglichen. Gibt es Parallelen?
Auch bei der Technologieblase 2001 wurden traditionelle Bewertungsmaßstäbe über Bord geworfen. Plötzlich waren Klicks auf den Internetseiten wichtig und nicht mehr Umsatz, Cashflow oder Gewinn. Aber die Kurssprünge bei Kryptowährung sind deutlich größer als bei der Technologieblase im Jahr 2001. Investoren vergessen auf die Prinzipien der Vermögensveranlagung. Die Gier überlagert das rationale Kalkül.
Kryptowährungen sind nicht reguliert, keiner greift ein. Ist das eigentlich nicht das Wunschszenario für viele Spekulanten?
Es ist schon spannend, dass man für Banken vor wenigen Wochen neue Anlegerschutzregelungen eingeführt hat und gleichzeitig gibt es einen Bereich, der gar nicht reguliert ist. Was ich mir nicht vorstellen kann, ist, dass Regierungen und Notenbanken sich das Geldmonopol aus der Hand nehmen lassen. Das sieht man ja auch bereits, erste Staaten schränken den Handel ein oder verbieten neue Kryptowährungen.
Sehen wir gerade die geschichtlich dramatischste Blasenentwicklung oder gab es bereits schlimmere?
Die Tulpenmanie im 16. Jahrhundert ist hier interessant. Der ökonomische Wert einer Tulpenzwiebel war damals unbedeutend. Allerdings war sie schwer zu züchten und es gab eine begrenzte Anzahl. Die teuerste Tulpe war damals die Semper Augustus, von ihr gab es aber überhaupt nur zwölf Stück. Auch bei Bitcoin gibt es eine begrenzte Menge – deutlich mehr als zwölf, aber dennoch begrenzt. Und bei einem knappen Gut mit wenig Regulierung geht mit Investoren oft die Fantasie durch.
Spielt die Nullzinspolitik bei der Entwicklung von Blasen auch eine Rolle?
Nach der Immobilienkrise in den USA hat die US-Notenbank massiv die Zinsen gesenkt. Der damalige Fed-Chef Ben Bernanke ist ein Experte der Weltwirtschaftskrise der 1930er. Er hat gewusst, dass eine scharfe Rezession mit fallenden Vermögenspreisen zu einer Spirale nach unten führt. Wenn der Einzelne schon seinen Job verloren hat oder Einkommenseinbußen hinnehmen muss und sich dann auch die Raten für sein Haus nicht mehr leisten kann, wird er seinen privaten Konsum zurückschrauben. In Europa hat sich das durch die Schuldenkrise wiederholt. Auch die EZB ist im Krisenmodus. Die Botschaft der Notenbank: Entweder du verbrauchst dein Vermögen, dein Geld und konsumierst oder du investierst es in etwas riskantere Anlagen. Andernfalls wirst du über die Inflation und nicht vorhandene Zinsen sukzessive ärmer. Vor diesen drei Möglichkeiten steht jetzt jeder. Bei unseren Kunden hat sich daher auch der Anlagemix geändert. Viele gehen nun stärker in Aktien.
Aber geringe Zinsen können Blasen begünstigen. Ist das wirklich zielführend?
Blasen oder Übertreibungen im Kurs können ökonomisch durchaus sinnvoll sein. Wenn eine neue Technologie, ein neues Phänomen auftritt und in kurzer Zeit viel Geld anzieht, wird diese Technologie weiterentwickelt. Aber genauso wichtig wie diese Geldakkumulation ist dann das Platzen der Blase. Denn damit wird die Technologie wieder billiger und bietet die Grundlage für neue Geschäftsmodelle. So war es bei der Technologieblase 2001. Viele Firmen haben den Kursverfall nicht überlebt, aber die Technologie entwickelte sich weiter und war nun wieder günstiger. Heute kommen sieben der zehn wertvollsten Unternehmen aus dem IT-Bereich, einige davon sind erst nach der Technologieblase entstanden. Hier passt der Vergleich zwischen Technologieblase und Kryptowährungen vielleicht. Die Blockchain-Technologie, Basis der Kryptowährungen, wird von vielen Unternehmen diskutiert. Sie könnte Geschäftsmodelle verändern. Ich glaube, dass diese Anwendungen in Zukunft interessant werden könnten.
Wie sehen Sie die Entwicklung von Blockchain im Bankensektor?
Bei der Technologie geht es vor allem darum, Effizienz zu steigern. Hier geht es um Bereiche wie Backoffice oder Zahlungsverkehr. Aber ich glaube, dass die persönliche Betreuung und Nähe zum Kunden wichtig bleiben werden. Bei Geldfragen spielt Vertrauen eine große Rolle. Technologie kann hier höchstens unterstützen.
Roman Vilgut