Der scheidende ÖVP-Wirtschaftsbund- und Wirtschafskammerpräsident Christoph Leitl begrüßt, dass die ÖVP-FPÖ-Koalition an der Kammer-Pflichtmitgliedschaft festhält. Wenn die neue Regierung mit der Wirtschaftskammer in einen Dialog über Leistungen, Effizienz und Mitleidsbeiträge eintreten wolle, sei das für die WKÖ eine gute Gelegenheit bereits erfolgte Entlastungen für die Mitglieder darzustellen. Mit Anfang 2019 soll in der Wirtschaftskammer ja die Reform "WKÖ 4.0" greifen. Diese soll für ein Absinken der Mitgliedsbeiträge um rund 100 Millionen Euro sorgen und zusätzliche Serviceleistungen bringen.
Im Regierungsprogramm wird den Kammern die Rute ins Fenster gestellt: Zwar wird nicht an der Pflichtmitgleidschaft gerüttelt. Bis 30. Juni 2018 müssen aber konkrete Pläne der Kammern vorliegen, wie eine Entlastung ihrer Mitglieder aussehen wird. Reicht das aus Sicht der Regierung nicht aus, droht eine gesetzliche Regelung.
Arbeiterkammer ist nicht begeistert
Die Arbeiterkammer zeigt sich indes nicht begeistert vom Regierungsprogramm. "Grundsätzlich beurteilen wir jede Regierung nach dem, was sie für die Arbeitnehmer des Landes macht", betonte AK-Präsident Rudolf Kaske im APA-Gespräch - wenn schon in den ersten Stunden Wirtschaft und Industrie applaudierten, müsse sich die Regierung in Sachen Arbeitnehmerrechte fragen, "ob das Applaus von der richtigen Seite ist". Kaske spielte damit etwa auf die geplante Flexibilisierung der Arbeitszeiten an, wo man Nachteile für die Arbeitnehmer befürchtet. Andere Maßnahmen aus dem Regierungsprogramm wollte Kaske am Sonntag noch nicht kommentieren, weil man gerade mitten in der intensiven inhaltlichen Bewertung sei. Die Arbeiterkammer will sich aber in den kommenden Tagen näher äußern.
Es sei "positiv, dass nicht über die Kammern, sondern mit den Kammern geredet wird", meinte Kaske zum Thema Beiträge und Pflichtmitgliedschaft . Vom Datum her beschleiche ihn allerdings das Gefühl, dass man sich über die bevorstehenden Landtagswahlen drüberschummeln will, um keinen großen Aufruhr zu verursachen. Die AK sei "sehr sparsam" im Umgang mit den Mitgliedsbeiträgen, bekräftigte Kaske. Über 800.000 Mitglieder wie Arbeitslose, Karenzierte oder Lehrlinge zahlten außerdem keine Beiträge, obwohl sie vollen Leistungsschutz genießen, betonte Kaske. Man werde in nächster Zeit auch neue Serviceleistungen präsentieren, kündigte er an.
ÖGB: "Das ist keine Reform, das ist ein Schmarrn"
Im Programm sieht ÖGB-Chef Erich Foglar unterdessen etliche Punkte, die "fast eins zu eins Forderungsprogramm der IV sind", nannte er etwa die Bereiche Arbeit, Soziales, Gesundheit oder Pensionen. Die "enormen Wahlspenden" von Industriellen würden bereits belohnt, meinte er.
Kritisch sieht Foglar, dass die Mitbestimmung in den Betrieben unter dem Begriff Entbürokratisierung zurückgedrängt werden soll. So sei etwa schon jetzt freiwillig eine Zusammenlegung der Arbeiter- und Angestellten-Betriebsräte möglich. Der ÖGB ortet durch diese Maßnahme eine Reduzierung der Anzahl an Betriebsräten: "Wir brauchen aber mehr Mitbestimmung." Foglar kritisiert auch die gänzliche Abschaffung der Jugendvertrauensräte. Damit würde verhindern, dass sich die Jugend selbst vertritt. Außerdem fehle damit der Nachwuchs für den Betriebsrat. Im Programm heißt es dazu, dass das aktive Wahlalter von 18 auf 16 gesenkt wird, womit der Jugendvertrauensrat ersetzt wird.
Die Senkung der Lohnnebenkosten führe in weiterer Folge zu einer Leistungsreduzierung. Gegen eine Reform in den Kammern habe niemand etwas: "Aber dass die Kammern aufgefordert werden, sich selbst zu schwächen, ist ein besonderes Schmankerl. Man kann zusammenfassen: Das ist keine Reform, das ist ein Schmarrn."
Junge Industrie vermisst "neuen Stil"
Während die Industriellenvereinigung bereits am Samstag Lob für das Regierungsprogramm aussprach, sieht das die "Junge Industrie" deutlich differenzierter. "Es geht teilweise sicher in die richtige Richtung, wie etwa bei mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit oder der Stärkung des dualen Bildungssystems – nur ist eben noch nicht klar, was genau wie und wann umgesetzt werden soll", so der JI-Bundesvorsitzende Andreas Wimmer.
Aber: "Bisher hat man das Gefühl, dass die wirklichen großen Brocken ausgelassen wurden. Ich hoffe nicht, dass es Teil eines neuen Stils ist, heikle Themen einfach auszuklammern." Es werde jedenfalls sicher nicht reichen, wenn "eine recht abstruse Diskussion über das Rauchen" das einzig öffentlich wahrnehmbare Highlight der neuen Bundesregierung bleibe. Klarerweise habe es aber jede neue Regierung verdient, erst an ihrer tatsächlichen Arbeit gemessen zu werden. Für die Arbeit wünscht die JI der schwarz-blauen Regierung das Beste, so deren Vorsitzender.
"Geradezu ernüchternd ist das Kapitel Pensionen"
Vom Regierungsprogramm enttäuscht zeigte sich auch der wirtschaftsliberale Thinktank Agenda Austria. "Wer sich von der neuen Regierung eine Generalsanierung des Hauses Österreich erwartet hat, wird nach Lektüre des Arbeitsprogramms bitter enttäuscht sein", meinte Agenda Austria-Leiter Franz Schellhorn.
Aus Sicht von Agenda Austria bleibt immerhin "die Hoffnung, dass nach den vier (Landtags-)Wahlgängen 2018 noch mehr kommt". Das neue Kabinett fürchte "offensichtlich nichts mehr als den Vorwurf, eine Politik der 'sozialen Kälte' zu betreiben". Einzig die Obergrenze für die Mindestsicherung gehe in diese Richtung.
"Geradezu ernüchternd ist das Kapitel Pensionen", schreibt Agenda Austria. Eine Sanierung des staatlichen Pensionssystems sei weit und breit nicht zu sehen. Eine Pensionsautomatik sei nicht vorgesehen, das gesetzliche Pensionsalter bleibe unverändert. "Vergleichsweise harmlos" seien die Vorhaben bei Steuern und Finanzen. "Hier dominieren die Überschriften, im Detail bleibt die neue Regierung vage bis mutlos". Die Kalte Progression werde nicht eliminiert, dieser Schritt solle lediglich geprüft werden.
Energie-Wirtschaft begrüßt Maßnahmen
Vertreter der Energie-Wirtschaft begrüßen das schwarz-blaue Regierungsprogramm auf ihre Branche bezogen. "Alle wichtigen Themen werden adressiert", erklärte Leonhard Schitter, Präsident von Oesterreichs Energie und Vorstandssprecher der Salzburg AG am Sonntag in einer Aussendung. Das Paket werde aber "in Zukunft sicher noch durch einige Klarstellungen ergänzt werden" müssen.
Es sei "grundsätzlich richtig, die Versorgungssicherheit in den Mittelpunkt zu stellen", so Schitter. Die Bundesregierung bekenne sich zu den Prinzipien der Stromstrategie von Oesterreichs Energie "sicher, sauber, leistbar" sowie weitgehender Unabhängigkeit von Importen.
Touristiker jubeln
In praktisch gleichen Aussendungen haben sowohl die Touristiker als auch die Hoteliers der Wirtschaftskammer die Vorhaben der kommenden Bundesregierung für ihre Branche begrüßt. Die Senkung der Umsatzsteuer auf Übernachtungen von 13 auf 10 Prozent per November 2018 findet sich jeweils als oberster Punkt einer Liste von Vorhaben, die auf Gegenliebe stoßen.
Tourismus-Branchensprecherin Petra Nocker-Schwarzenbacher und Sigi Egger vom Hotellerie-Fachverband lobten unter vielen anderen Punkten auch, dass die vorgeschriebenen Ruhezeiten für Mitarbeiter von elf auch acht Stunden verkürzt werden sollen. Dieser Punkt findet sich im Regierungsprogramm insofern wider, als dass Arbeitszeitregelungen für Betriebe und Beschäftigte in der Gastronomie praxisgerecht gestaltet werden sollen.
AUVA übt Kritik
Die Pläne der neuen Regierung zur Reform der Sozialversicherungen sorgt nach der Präsentation des Regierungsprogramms weiter für Kritik. Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA), die mit einer drastischen Kürzung der Unfallversicherungsbeiträge konfrontiert wird, warnt vor Einschränkungen für die Versicherten. Kritik an der Krankenkassenzusammenlegung kommt hingegen auch aus der FPÖ.
Die Regierung verordnet der AUVA in ihrem Programm eine nachhaltige Reform. Bis Ende 2018 müssen ein Gesamtkonzept stehen und erste finanzielle Erfolge nachweisbar sein. Andernfalls wird die AUVA in die bestehenden Träger übergeführt und damit aufgelöst. Gleichzeitig wird der von den Unternehmern zu leistende Unfallversicherungsbeitrag von 1,3 auf 0,8 Prozent gesenkt und damit die Lohnnebenkosten um 500 Millionen Euro reduziert.
"Eine Senkung des Unfallbeitrages in dieser Höhe würde an den Versicherten nicht spurlos vorübergehen", sagte AUVA-Obmann Anton Ofner in Reaktion. Er erforderte im Gegenzug zur Beitragssenkung eine "vollständige und sofortige finanzielle Entlastung bei versicherungsfremden Leistungen".
"Die AUVA trägt Kosten für das Gesundheitssystem, die mit der Finanzierung der beruflichen Unfallversicherung und -versorgung nichts zu tun haben", so Ofner. So werden Leistungen der Krankenkassen, die nach Arbeitsunfällen erbracht werden, von der AUVA überproportional abgegolten. "Die AUVA leistet eine Pauschalzahlung von über 200 Millionen Euro, das sind etwa 150 Millionen zu viel." Zudem erhält die AUVA viel zu wenig Mittel für die Behandlung von Freizeitunfällen in ihren UKH. Die Krankenkassen erstatten der AUVA derzeit lediglich ein Viertel der tatsächlichen Kosten für eine Unfallbehandlung. Eine weitere versicherungsfremde Leistung ist der Zuschuss zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, für die die AUVA zusätzlich 47 Mio. Euro im Jahr aufwenden muss. "Die AUVA wird selbstverständlich ihren bereits eingeschlagenen Reformweg entschlossen weitergehen und Strukturen noch straffer und effizienter gestalten."
Widerstand von FP-Landesparteichef Haimbuchner
Ungewöhnlicher Widerstand gegen die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger, die vor allem von der FPÖ im Wahlkampf versprochen und gefordert wurde, kommt unterdessen vom oberösterreichischen FP-Landesparteichef Manfred Haimbuchner. Österreich bestehe aus neun Ländern und nicht nur einer Hauptstadt, meint Haimbuchner. "Es darf unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung und der Zusammenlegung zu keiner Zentralisierung in Wien kommen." Leistungsstarke Bundesländer wie Oberösterreich dürften bei der geplanten Reform der Krankenkassen nicht benachteiligt werden. "Wenn das passiert, gibt es Probleme. Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen", sagte Haimbuchner im "Kurier"
SVA begrüßt Regierungspläne
Die Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft begrüßte dagegen die Pläne der Regierung. Ein einheitlicher Sozialversicherungsträger für Selbstständige als bundesweiter Dienstleister wird seitens der SVA begrüßt, sagte SVA-Obmann-Stv. Alexander Herzog in einer Aussendung.