Laut eigenem Befund sind über 90 Prozent der Mitglieder, die mit der AK Kontakt hatten, zufrieden oder sogar sehr zufrieden. Es gäbe also keinen Grund, sich vor einer Urabstimmung über die Pflichtmitgliedschaft zu ängstigen.
URSULA HEITZER: Wir fürchten uns auch nicht vor einer Mitgliederbefragung. Nach solchen Rückmeldungen scheuen wir uns nicht davor, wenn es denn notwendig wäre.
Angestrebt wird sie aber nicht?
Man kann auch sachlich überzeugen, dass die Mitgliedschaft passt und leistbar ist. Bei 2200 Euro brutto Grundgehalt kostet diese sieben Euro pro Monat. Das Thema wird jetzt politisch hochstilisiert – wenn es notwendig ist, werden wir eine Befragung machen. Auch um zu zeigen, dass hier eine gute Leistung erbracht wird und die Mitglieder mit einer obligatorischen Mitgliedschaft gut leben.
Die AK schwimmt dennoch nicht im Geld?
Wir sehen das nicht so – ja, es gibt Rücklagen, aber wir sind ein Betrieb, der sich für eventuelle Sondermaßnahmen rüsten muss.
Der AK-Beitrag von 0,5 Prozent des Bruttoeinkommens ist weiter gerechtfertigt?
Wäre eine Kürzung um 0,1 Prozent leicht verkraftbar, dann haben wir etwas falsch gemacht.
Die hohen Lohnnebenkosten werden häufig kritisiert. Dazu zählt auch der AK-Beitrag.
Wir sind immer sehr hellhörig, wenn es heißt, Lohnnebenkosten runter. Dazu gehört ja auch das 13. und 14. Monatsgehalt. Die Frage ist immer: bei welchem Teil setze ich an?
Was hat Sie vor 20 Jahren eigentlich bewogen, ihre Kollegen zu vertreten?
Ich habe einen wahnsinnigen Gerechtigkeitssinn und setze mich gerne für andere ein.
Sie sind im Beruf häufig Ungerechtigkeiten begegnet?
Ich persönlich nicht, wäre es so gewesen, ich hätte mich gewehrt. Aber ich habe sie beobachtet und bin in meinem Umfeld immer wieder damit konfrontiert. Das hat mich bestärkt, mich für andere einzusetzen.
Wie treten Sie gegenüber Ihrem Arbeitgeber auf? Eher kollegial oder doch konfrontativ?
Die Auseinandersetzung suche ich nie. Mein Zugang sind Gespräche, die Intention, Konflikte über Kommunikation zu lösen. Ich scheue mich aber nicht, wenn sich so gar nichts bewegt, konfrontativ aufzutreten. Das habe ich Gott sei Dank nur selten gebraucht.
Sie kommen aus dem Gesundheitswesen. In diesem Bereich ist der Druck auf zumeist Arbeitnehmerinnen besonders heftig.
Das ist eines meiner großen Themen für die Restperiode in der Bundesarbeiterkammer, mich für die Pflege einzusetzen. Pflege, Sozial- und Gesundheitswesen ist ein Zukunftsmarkt – für die Kollegen entwickelt er sich aber nicht so positiv. Wir haben eine hohe Ausfallsrate wegen psychischer Überbelastungen, auch körperlich ist es eine wahnsinnige Herausforderung. Wir wollen Arbeitsbedingungen schaffen, die es den Kollegen erleichtern.
Was sind zurzeit die brennendsten Probleme der Arbeitnehmer?
Ich kann das nicht an einem Thema festmachen. Wichtig, dass es weiter die Möglichkeit von branchenspezifischen Kollektivvertragsverhandlungen gibt.
Das ist ja der Kern der Sozialpartnerschaft – orten Sie hier Veränderungsbedarf?
Weiterentwickeln darf man sich immer.
Die Sozialpartnerschaft gilt als Schattenregierung, soll das so bleiben?
Im Gegenteil: Die Sozialpartner versuchen in Verhandlungen, für viele Menschen etwas zu erreichen. Wir sind überzeugt, das war bis jetzt nicht zum Nachteil des Wirtschaftsstandortes Österreich. Momentan ist es sehr modern, von Veränderung zu sprechen. Und ja, wenn wir uns nicht weiterentwickeln, führen wir uns selbst ad absurdum.
Wo sehen Sie Änderungsbedarf?
Ich würde Kollektivvertragsverhandlungen weniger über Medien spielen und von beiden Seiten mit mehr Respekt führen. Mir wäre es lieber, wenn man auf Drohgebärden verzichten könnte.
Es gibt immer mehr EPUs, Selbstständige, die sich oft nicht selbstständig fühlen. Wird der schwarz-rote Kammerstaat der modernen Arbeitswelt und seinen vielen Graubereichen gerecht?
Viele machen sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig. Es stimmt, viele fühlen sich nicht vertreten, wissen nicht, wo sie hingehören. Wir kümmern uns jetzt über die Fachgewerkschaft vida um die EPUs. Dass diese auch Wirtschaftskammermitglieder sind, ist kein Widerspruch.
Die Arbeitswelt wird komplexer, Freizeit und Arbeitszeit verschwimmen. Muss man das starre Arbeitszeitgesetz anpassen?
Es ist schon sehr flexibel geworden. Die Digitalisierung ist unsere Herausforderung. Es gilt, das so zu gestalten, dass es für beide passt – Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Manche Dienstnehmer fühlen sich durchs Handy nicht belastet, andere wiederum brauchen Grenzen. Unternehmer haben eine Fürsorgepflicht für die Mitarbeiter, und Mitarbeiter auch für sich selbst. Es kann nicht alles irgendwer regeln.
Können Sie mit dem Spruch „Wenn’s der Wirtschaft gut geht, geht’s allen gut“ etwas anfangen?
Aber warum geht es der Wirtschaft gut? Dafür, dass es der Wirtschaft gut geht, braucht es Mitarbeiter!
Wir bekommen wahrscheinlich eine schwarz-blaue Regierung. Welche Erwartungen haben Sie?
Ich bin sehr gespannt, aber auch sehr hellhörig. Ich möchte nicht sagen, dass das ganz schrecklich werden wird, weil wir wissen noch zu wenig. Wünschenswert wäre, wenn aus der Regierungszeit 2000 bis 2006 gelernt wurde. Wir werden mit Vehemenz Verschlechterungen für unsere Leute verhindern – die Gefahr ist natürlich da.
Im Raum stehen etwa Kürzungen oder Stopps für die „Aktion 20.000“ und den Beschäftigungsbonus.
Es braucht diese Maßnahmen. Man sollte sie evaluieren und danach eine Nutzenrechnung durchführen.
Rudi Kaske tritt im April von der Spitze der Bundes-AK ab. Ist die Zeit reif für eine Frau?
Die Zeit ist immer reif …
Neun Länder-AKs ohne Frau an der Spitze, auch die Bundes-AK-Chefs waren stets Männer. Sollen Frauen bei gleicher Qualifikation bevorzugt werden?
Es wird gewählt, es geht nicht allein um Qualifikation. Es ist nicht hundertprozentig wichtig, ob an der Spitze eine Frau steht, wichtig ist, dass Frauen repräsentativ in den Gremien vertreten sind. Es wäre aber eine gute Gelegenheit.
Die „#MeToo“-Debatte hat die Belästigung von Frauen auch im Berufsleben thematisiert.
Wir nehmen auch in der AK wahr, dass das zunimmt. Es ist für mich erschütternd, dass Belästigungen so oft vorkommen.