Angesichts der Spätfolgen des Brexit-Schocks wagt die britische Notenbank die erste Zinserhöhung seit zehn Jahren. Sie hob den Schlüsselsatz zur Versorgung der Geldinstitute am Donnerstag um einen Viertelpunkt auf 0,5 Prozent an und folgt damit dem Vorbild der US-Notenbank Fed.
Diese hat bereits Ende 2015 ihre Geldpolitik von ultra-locker auf etwas straffer umgestellt und hält momentan die Tür für eine dritte Zinserhöhung in diesem Jahr offen. Anders als jenseits des Atlantiks ziehen die Währungshüter in London die Zügel jedoch nicht wegen der rund laufenden Konjunktur an, sondern um die Inflation in Schach zu halten. "Es ist an der Zeit, den Fuß etwas vom Gas zu nehmen", sagte Notenbankchef Mark Carney nach dem Zinsentscheid, den manche Experten wegen der anfälligen Konjunktur auf der Insel aber für riskant halten.
"Die Gefahr ist nicht unerheblich, dass der Schuss nach hinten losgeht", sagte Ökonom Thomas Gitzel von der Liechtensteiner VP Bank. Auch in der Notenbank war der Schritt nicht unumstritten: Die Entscheidung für die Straffung, die Kredite tendenziell verteuert, fiel mit sieben zu zwei Stimmen. Mit Jon Cunliffe und Dave Ramsden votierten zwei Stellvertreter Carneys gegen die Erhöhung. Für ihren Geschmack steigen die Löhne nicht stark genug, um höhere Zinsen zu rechtfertigen.
Die einst vor Kraft strotzende Wirtschaft auf der Insel hatte zuletzt nur um 0,4 Prozent zugelegt. Ein derart schwaches Wachstumsumfeld hat es seit 20 Jahren bei keiner Zinserhöhung in Großbritannien mehr gegeben. Doch seit der globalen Finanzkrise 2008/09, die Großbritannien in eine tiefe Rezession stürzte, kannte der Zins nur eine Richtung - nach unten. Im August 2016 erreichte er nach dem Brexit-Schock 0,25 Prozent: Niemals in der mehr als 300-jährigen Geschichte der altehrwürdigen Bank of England (BoE) war der Schlüsselsatz niedriger.
Die Notenbank reagiert nun mit der Rolle rückwärts auf die stark anziehende Inflation auf der Insel, die an der Kaufkraft der Briten nagt. Seit dem EU-Austrittsvotum vom Juni 2016 hat das Pfund deutlich abgewertet, was Importe verteuert und so die Preise anheizt. Mittlerweile liegt die Teuerung mit drei Prozent weit über der Zielmarke der BoE von zwei Prozent. Eine straffere Geldpolitik stärkt tendenziell die Währung und dämpft den Preisauftrieb.
Und die britische Notenbank will in den nächsten Jahren mit weiteren Zinsschritten nachlegen - "behutsam und schrittweise", wie Carney signalisierte. Die Währungshüter befürchten, dass die Inflation auch noch in drei Jahren über dem Zielwert liegen wird. Laut Carney basieren die Prognosen der Zentralbank auf der Annahme von zwei weiteren Zinsschritten binnen drei Jahren. "Und wir brauchen diese zwei zusätzlichen Erhöhungen in der Tat", so Carney.
Manche Fachleute hatten eher erwartet, dass die Notenbank nun vorerst stillhalten und bis Mitte 2019 auf weitere Erhöhungen verzichten würde. Bis dahin sollen auch die stockenden Brexit-Verhandlungen über die Bühne gegangen sein. Als Austrittsdatum steht der 29. März 2019 fest. Carney sagte, in "normalen Zeiten" wäre eigentlich mit einem Erreichen des Inflationsziels binnen drei Jahren zu rechnen: "Doch wir werden eine gewisse Zeit außergewöhnliche Umstände haben", sagte der Kanadier an der Spitze der britischen Notenbank mit Blick auf den Brexit.
Die BoE rechnet auch mit einem deutlichen Aderlass in der Finanzbranche durch den EU-Austritt. Zentralbank-Vize Sam Woods nannte jüngst einen Verlust von bis zu 75.000 Arbeitsplätzen bei Banken und Versicherern "plausibel". Sintje Boie von der HSH Nordbank vermutet, dass die BoE mit der Zinserhöhung letztlich einer Kapitalflucht vorbeugen möchte: "Mit höheren Zinsen kann sie eine unkontrollierte Abwertung des Pfunds verhindern."