Zwar wächst die Wirtschaft wieder, die Reallöhne in Europa steigen aber kaum. In zehn EU-Staaten liegt das Reallohnniveau noch immer unterhalb des Niveaus des Krisenjahrs 2009. Auch in Österreich stagnieren die Reallöhne seit 2010 (Rückgang um 0,1 Prozent). Das ergibt eine am Freitag veröffentlichte Untersuchung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Starke Anstiege hat es in einigen neuen EU-Staaten, allen voran Bulgarien, gegeben. Aber auch Schweden (13,7 Prozent) und Deutschland (9,8 Prozent) sahen in dieser Periode einen kräftigen Zuwachs bei den Reallöhnen. In Frankreich lag der Zuwachs immerhin bei 5,2 Prozent. Große Rückgänge gab es hingegen in Griechenland (-22,9 Prozent), Zypern (-12,9 Prozent) und Portugal (-8,6 Prozent).
Angespannter Arbeitsmarkt
Aus Sicht der Ökonomen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI), das zur Hans-Böckler-Stiftung gehört, deutet dieser "ungewöhnlich langsame" Anstieg der Reallöhne trotz stabilen Wachstums darauf hin, dass die Lage auf den Arbeitsmärkten in vielen Ländern angespannter ist, als es die offiziellen Zahlen glauben lassen. Viele Erwerbssuchende würden in der Arbeitslosenstatistik nicht erfasst. Die Statistik zeige weder Teilzeitbeschäftigte, die mehr arbeiten wollen noch Personen, die nur wegen mangelnder Angebote die Suche aufgegeben haben.
Nach Berechnungen der Notenbank liege die Unterauslastung auf dem Arbeitsmarkt im Durchschnitt der Euro-Länder bei rund 15 Prozent. Die offizielle Arbeitslosenquote für den Euroraum lag hingegen zuletzt bei 9,5 Prozent. "Hinzu kommt, dass es sich bei den in jüngster Zeit neu geschaffenen Arbeitsplätzen oft um befristete Jobs und andere Formen prekärer Beschäftigung handelt. Eine Entwicklung, die nach Analyse der Wissenschafter durch Arbeitsmarkt-Deregulierungen in vielen europäischen Ländern begünstigt wurde", heißt es in einer Aussendung des WSI.
Parallel zur Stagnation der Reallöhne, also der Einkommen nach Abzug der Inflation, ist auch die Lohnquote in Österreich geringfügig zurückgegangen. Sie misst den Anteil der Arbeitseinkommen am gesamten Volkseinkommen. Die Lohnerhöhungen der letzten Jahre waren also vollständig durch Preis- und Produktivitätssteigerungen gedeckt, so die Bewertung des WSI.
Österreich: Plus 0,1 Prozent
Das WSI erwartet in Österreich heuer auf Basis der Prognosen der EU-Kommission einen Reallohnzuwachs von 0,1 Prozent, 2016 waren es 0,3 Prozent. Im EU-Schnitt war 2016 ein sehr gutes Jahr für die Arbeitnehmer, ihre Reallöhne haben 1,5 Prozent zugelegt. Heuer dürfte der Zuwachs aber wieder auf 0,4 Prozent zurückgehen, erwartet das WSI.
Deutlich stärkere EU-weite Steigerungen würden nach Ansicht der Wissenschafter die Binnennachfrage und das Wachstum in Europa beleben. Lohnzuwächse würden nicht nur die private Nachfrage stärken, sondern auch zu einer Normalisierung der Inflationsrate beitragen, schreiben die gewerkschaftlichen Ökonomen.
Die Rahmenbedingungen bildeten ein relativ günstiges Umfeld, schreiben die Autoren. So habe das Wachstum in diesem Jahr alle EU-Staaten erreicht. Die EU-Kommission geht wie im Vorjahr von einem Wachstum des Bruttosozialprodukts von 1,9 Prozent aus. Gleichzeitig nimmt die Arbeitslosenquote kontinuierlich auf 8,0 Prozent in diesem Jahr ab.