Das politische Explosionsgemisch soll 1000 Seiten stark sein, für 630.000 Euro bestellt bei Experten der London School of Economics. Wenn die von Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) in Auftrag gegebene Studie über „Effizienzpotenziale in der Gesundheitsvorsorge“ Mitte August endlich vorliegt, ist Wahlkampfsperrfeuer von allen Seiten absehbar. Von den großen Kostentreibern Pensionen, Verwaltung, Gesundheit hat die SPÖ den ersten schon zum Wahlkampfthema erkoren – bis zur Verfassungsgarantie fürs Pensionskonto.

Mit der LSE-Studie kommt der Reformbedarf im Strukturdschungel der Sozialversicherung mit ihren 27.000 Mitarbeitern in die Mündungsrohre der Spindoktoren. Dass von den rund 17.000 Pensionisten der Sozialversicherungsträger solche nach Pensionsrecht bis 1996 noch Sonderpensionen genießen, die 2016 rund 330 Millionen Euro kosteten, hat schon jüngst für Aufregung gesorgt.

„Das ist Altrecht und ärgert mich irrsinnig, weil wir daran nichts mehr ändern können“, sagt Alexander Biach. Er löste heuer Ulrike Rabmer-Koller ab, die als Präsidentin des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger vom Reformstau entnervt abtrat. Tatsächlich sind die Sonderpensionskosten ein Randthema im Vergleich zum Potenzial, das durch ein Ausholzen im Gestrüpp der vielen Kassen im Hauptverband gehoben werden kann. So stecken in den sieben Auftragskapiteln für die Studie noch viel größere politische Zeitbomben.

Die Sozialversicherung ist ein gigantischer Geldumschlag. 48,3 Milliarden Euro spülten die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, von Bauern bis Beamten 2016 in die Kasse. Mehr als die Lohnsteuer, die der Finanzminister kassiert, der mit allen Steuern zusammen auf 76,5 Milliarden Budget kommt, von dem rund zehn Milliarden allein für Pensionen an die Sozialversicherung fließen, die insgesamt rund 60 Milliarden Euro Ausgaben hat. Bei der Krankenversicherung, die 17,863 Milliarden Euro umwälzt, ist der Straffungsbedarf am größten.

„Faktor 18 ist entscheidend“, sagt Biach. „Alles, was wir damit von IT bis Beschaffung und Verwaltung machen können, spart ein.“ 21 Träger, davon 18 Krankenkassen, wirtschaften derzeit mit unterschiedlichsten Leistungen aneinander vorbei. Die Vorschläge in der LSE-Studie könnten bis zur Zusammenlegung aller neun Gebietskrankenkassen der Bundesländer gehen. Mit Gutachten gegen Eingliederung in die GKs gewappnet haben sich bereits die Berufskrankenkassen. Forderungen von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung gingen bis zur Verschmelzung auf nur noch fünf Träger. Die Straffung von drei auf zwei Sparten (Kranken/Unfall, Pension) steht im Raum, derzeit decken nicht alle jede ab. 463 Millionen betrug 2015 der Verwaltungsaufwand aller Kassen.

Das Vertragspartnerrecht ist die nächste Baustelle. Die Verträge für Honorare von Ärzten bis Optikern und Bandagisten werden von jeder Kasse einzeln ausgehandelt. Die Ärztekammer will es auf Länderebene halten. Biach stimmt dem zu, will aber „Gesamtverträge über den Hauptverband verhandeln. Da steigt beim Primärversorgungsgesetz ein Testballon.“

Auch Zahlungsströme sind in der Studie ein Kapitel für sich. Ob Abgänge der Sozialversicherung aus Rücklagen der Träger, höheren Beiträgen oder neuen Steuern gedeckt werden, programmiert Konflikte. Das noch größere Minenfeld ist das Kompetenz-Wirrwarr bei der Finanzierung des Gesundheitssystems. Die Krankenversicherung ist bei Beitragseinhebung Bundessache, detto der niedergelassene Bereich, beim Geldausgeben in den Spitälern aber Ländersache. Wäre alles beim Bund, könnte man Planung aus einer Hand machen, so wie Biach es wünscht. Die föderale Realverfassung in Österreich macht das schier undenkbar.

Umgekehrt die Beitragseinhebung den Ländern zu überlassen, wäre noch schlimmer. „Dann haben wir noch größere Ungerechtigkeit beim Geldausgeben quer durch Österreich.“ Ob die Empfehlungen der Studie über die bisher versuchte Bundeszielsteuerung mit Bund und Ländern hinausgeht, wird spannend.

Ein Konvent für die Sozialversicherung könnte das angehen, so Biach. Allerdings ist da der Österreich-Konvent, der die Verwaltung reformieren sollte und über Jahre einschlief, ein warnendes Beispiel. Auch ohne gibt es akut viel zu lösen, vom Problem der Mehrfachversicherungen über die begonnene Leistungsharmonisierung bis zur Klärung bei Selbstbehalten und betrieblicher Vorsorge.