In den kommenden Tagen gibt es einen neuen Anlauf für die Verhandlungen über die Arbeitszeitflexibilisierung. Die Unternehmer wollen die tägliche Arbeitszeit bei Großaufträgen seit langem von zehn auf bis zu 12 Stunden ausweiten, ohne Überstunden zahlen zu müssen. Arbeiter und Gewerkschaft sind skeptisch. AK-Präsident Rudolf Kaske fürchtet "massive Verluste für die Arbeitnehmer".
Derzeit machten die österreichischen Arbeitnehmer 200 Mio. Überstunden, rechnete Kaske im ORF-Morgenjournal am Montag vor. Fielen die Überstundenzuschläge weg, bedeutete dies einen Einkommensverlust von 1,3 bis 1,5 Mrd. Euro für die Arbeitnehmer. Das würde auch der Wirtschaft schaden, da die Arbeitnehmer Kaufkraft verlören.
Sechste Urlaubswoche
Wir haben ja unzählige Fälle und Möglichkeiten, wo jetzt schon auf gesetzlicher und kollektivvertraglicher Basis Arbeiten bis zu zwölf Stunden nicht nur möglich ist, sondern auch tatsächlich geleistet wird", sagt ÖGB-Chef Erich Foglar. Für die Gewerkschaft sei aber klar: "Zwölf Stunden müssen die Ausnahme bleiben." Und: "Ein Rückgang der Entlohnung ist sicher nicht akzeptabel."
Wenn jemand zwölf Stunden arbeite, dann dürfe er nicht um seine Erholungsmöglichkeit umfallen. Familie, Bildung, sonstige Verpflichtungen dürften nicht leiden. Nur weil 12 Stunden Arbeit erlaubt werden, hätten Kindergärten nicht 12 Stunden offen. Insgesamt dürfe das Arbeitszeitgesetz nicht seine Schutzfunktion für die Arbeitnehmer verlieren.
"Eine weitere Schmälerung bei der Entlohnung, siehe Stichwort Wegfall der Überstunden und dergleichen, ist sicherlich nicht akzeptabel." Für den ÖGB sei "unverrückbar das Thema Arbeitszeitverkürzung damit verbunden", in welcher Form auch immer. Die sechste Urlaubswoche wäre ebenso eine Art der Arbeitszeitverkürzung, wie ein Rechtsanspruch auf Bildungsurlaub. Es müsse nicht nur um die Wochenarbeitszeit gehen: "Es ist so vieles denkbar."
IV will Flexibilität
Mit Verwunderung reagierte der Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), Mag. Christoph Neumayer, heute, Montag, auf die Aussagen von Arbeiterkammerpräsident Rudolf Kaske im Ö1-„Morgenjournal“. Einmal mehr stellte Neumayer klar: „Die Forderung der Industrie ist nicht jene nach generell längeren Arbeitszeiten, sondern es soll dann gearbeitet werden können, wenn es sinnvoll ist. Die Arbeitszeit bleibt dabei insgesamt gleich. Das bringt sowohl Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als auch Unternehmen die nötige Flexibilität, die beide wollen. Erstere profitieren von der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, letztere von einer Verbesserung ihrer internationalen Konkurrenzfähigkeit.“ Worum es keineswegs gehe, sei, „irgendjemandem etwas wegzunehmen“. Wenn der AK-Präsident überdies meine, dass die Arbeitszeit „schon jetzt sehr flexibel“ sei, dann entspreche das nicht der rechtlichen Realität. Dementsprechend brauche es die Abbildung der betrieblichen Realtäten in rechtlicher Form: „Die Auslagerung des Themas an die Sozialpartner trägt allerdings wohl kaum zu einer raschen Lösung bei“, so der Generalsekretär.
Vor allem dürfe es im Zuge der Sozialpartnergespräche nicht zu einer „Rückkehr der Abtauschmentalität“ kommen: „Es gibt bei diesem Thema nichts abzutauschen, denn die moderne Gestaltung des Arbeitszeitrechts wäre ein Wachstumsimpuls. Hingegen würden Gegenforderungen der Arbeitnehmerseite, wie etwa die immer wieder verlangte leichtere Erreichbarkeit der 6. Urlaubswoche, den Unternehmen Zusatzkosten von bis zu 400 Mio. Euro verursachen.“
Leitl hält Zuschläge für möglich
Ob und wie in Zukunft dann Überstunden entlohnt werden, wollte sich WKÖ-Chef Christoph Leitl am Montag im ORF-"Mittagsjournal" nicht festlegen.
Über Zuschläge müsse man am Ende der Verhandlungen reden, so Leitl. 70 Prozent der Arbeitnehmer seien für eine Flexibilisierung der Arbeitszeit, um Aufträge zu erledigen. Wenn es zu mehr Arbeit komme, wolle jeweils ein Drittel der Befragten mehr Geld, mehr Gestaltungsraum für die Freizeit oder einen Zeitpolster für schlechtere Zeiten. "Die Menschen haben ein Bedürfnis nach Wahlfreiheit", sei es mehr Zeit für die Kinderbetreuung im Sommer, Weiterbildung oder Einkommen. Man müsse alle in fairer Weise berücksichtigen.
"In keiner Weise nachvollziehbar" und "polemisch" seien die von AK-Präsident Rudolf Kaske heute genannten 1,5 Mrd. Euro, die Arbeitnehmer durch den Wegfall von Überstundenzuschlägen verlieren würden, wenn es zu einer zweijährigen Durchrechnungszeit der Arbeitszeiten komme. Es sei der Sozialpartner nicht würdig, vor Beginn der Verhandlungen solche Zahlen zu nennen. Er wolle auch nicht auf den drohenden Verlust von 20.000 Arbeitsplätzen verweisen, auch wenn diese Gefahr bestehe. Auch rede niemand über die Mehrkosten für die Wirtschaft durch einen Mindestlohn von 1.500 Euro.