Herr Brabeck, wenn Sie hier in Wien sind, genießen Sie sicher ein Schnitzel oder einen Schweinsbraten und nicht, wie im Nestlé-Ironman-Projekt angestrebt, personalisiertes Essen aus der Kapsel oder dem 3D-Drucker.
PETER BRABECK-LETMATHE: Sie können sicher sein, dass ich zuerst einmal ein schönes Wiener Kartoffelgulasch esse oder manchmal auch ein Backhendl mit einem guten Vogerlsalat. Das gehört ja dazu.
Klar. Warum auch sollte uns Life-Science-Kost, die Sie in Ihrem neuen Buch „Ernährung für ein besseres Leben“ beschreiben, besser schmecken?
BRABECK-LETMATHE: Ich habe ja nicht gesagt, dass es eine Life-Science-Kost gibt. Ich kann mir eine gesunde, moderne Ernährung mit den besten frischen Produkten zusammenstellen, und das ist das, was wir essen. Die Frage ist – und das erkläre ich im Buch –, wie wir essen, wie diese Diät zusammengestellt wird. Das wird wahrscheinlich individualisierter sein. Es wird darauf ankommen, in welchem Stadium Ihres Leben Sie sind. Ob Sie jetzt – so wie ich – schön langsam in die Abenddämmerung gehen.
Sie schauen ja voll frisch aus. Da freuen wir uns. Dass Sie auch eine Krebserkrankung überwunden haben, hat Ihre eigene Position zum Zusammenhang von Ernährung und Gesundheit noch einmal verstärkt?
BRABECK-LETMATHE: Ja, absolut. Natürlich gehen diese Erfahrungen nicht spurlos vorüber. Und es hat mir einmal mehr gezeigt, dass am Anfang wahrscheinlich aller Krankheiten auch die Ernährung eine Rolle spielen kann. Und zwar positiv und negativ. Positiv in dem Sinn, dass man sich durch gute Ernährung präventiv länger gesund erhalten kann. Negativ, dass, wenn wir eine falsche Ernährung haben, diese auch zu Gesundheitsschäden führen kann. Es gibt also zwei Seiten der Ernährung. Deswegen ist es so wichtig, dass wir dieses Bewusstsein haben, wie wir uns ernähren.
Die Forschung zielt gerade darauf ab, eine künftige Ernährung nach der Genstruktur eines Menschen individuell auszurichten. Das wird im Alltag gehen?
BRABECK-LETMATHE: Es ist so. Ihr Gesundheitszustand hängt zu einem gewissen Teil von Ihrer Genomik ab. Da sind wir dabei zu lernen, das menschliche Genom besser zu analysieren. Aber die Genomik ist nicht allein verantwortlich für das, was mit uns geschieht, sondern auch die Epigenetik. Also der Teil des Einflusses der Außenwelt auf unsere Genomik. Den größten Einfluss hat die Ernährung.
Die Antwort ist Nutrigenomik – Genjustierung der Mahlzeiten?
BRABECK-LETMATHE: Aber genauso wichtig wie Ihr Genprofil ist, wie Sie Ihr Leben gestalten, wie sehr Sie Einflüssen ausgesetzt sind, ob Sie in einer verseuchten Stadt leben oder im schönen Steirerland.
Zugleich wird auch die Gentechnik bei Pflanzen revolutioniert. Die Methode CRISPR/Cas9 verändert Pflanzen, ohne fremde Gene zuführen zu müssen. Ist also auch nicht mehr nachweisbar.
BRABECK-LETMATHE: Ja, die Technologie schreitet natürlich fort. Meine Meinung ist, dass wir die GMO-Produkte (GMO steht für gentechnisch veränderte Organismen, Anm.) nicht aufgrund von Tatsachen, sondern aufgrund von Emotionen nicht anerkennen wollen. Wobei wir immer vergessen, dass wir alle GMOs sind. Weil jeder, der einmal eine Krankheit hatte, ist einem GMO-Medikament ausgesetzt gewesen. Damit haben wir kein Problem?
Die als gentechnikfrei gekennzeichnete Kärntnermilch, für die Hunderte Bauern auf Sojafütterung verzichten, kommt aber an. Gegen Gentechnik zu sein, ist aus ihrer Sicht postfaktisch?
BRABECK-LETMATHE: Es ist fast lächerlich. Wir haben kein Problem, dass wir GMOs in unserem Körper einsetzen. Aber wenn Sie ein GMO einer Pflanze einsetzen, dann gibt des einen Aufschrei.
Die Weltbevölkerung schätzen Sie 2050 auf 9,7 Milliarden Menschen, davon über zwei Milliarden über 60. Um alle zu ernähren, ist Gentechnik unerlässlich?
BRABECK-LETMATHE: In großen Agrarstaaten werden GMO überall benutzt, mit positivem Einfluss auf Ertrag und Umwelt, weil weniger Pestizide notwendig sind. Ich glaube, dass wir neue Technologien ohne GMO entwickeln werden, zum Beispiel Mikrobiome für Pflanzen.
Wie wirken Mikrobiome?
BRABECK-LETMATHE: Wir alle haben Mikrobiome in unserem Verdauungssystem. So ungefähr 2,5 bis drei Kilogramm Bakterien. Pflanzen haben etwas Ähnliches. Wenn Sie diese Mikrobiome bei den Pflanzen verstärken, so wie wir sie bei uns Menschen verstärken können, dann haben Sie eine bessere Ertragslage. Das könnte man sich auch in Österreich vorstellen, weil es kein GMO ist.
Gerade wegen GMO, wegen Angst vor gentechnisch behandelten Pflanzen, haben letzte Woche über eine halbe Million Österreicher ein Volksbegehren gegen TTIP/Ceta unterschrieben.
BRABECK-LETMATHE: Politik wird heute mehr und mehr über Emotionen geführt. Ich muss auch lachen, wenn ich höre, weil Donald Trump jetzt an der Macht ist, sei das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa nicht durchführbar. Es war schon vorher vor den Europäern für tot erklärt.
Hier wurde gegen das Ceta-Abkommen mit Kanada protestiert, in Kanada protestierte man gegen Nestlé, weil es Quellen aufkaufte.
BRABECK-LETMATHE: Wir haben in Kanada Quellen und Abfüllanlagen wie überall auf der Welt. Wasser hatte bis vor Kurzem keinen Wert. Jetzt kommt die Bevölkerung langsam auch zur Meinung, dass das Wasser einen Wert haben sollte. Die Diskussion – und das ist eine gerechte Diskussion – ist jetzt: Wie viel soll eine Firma wie Nestlé, wenn sie da Wasser abfüllt, für das Wasser zahlen?
Ein gutes Geschäft allemal. Bei Nestlé sprudelten in den 25 Jahren Ihrer Regentschaft jedes Jahr höhere Dividenden.
BRABECK-LETMATHE: Wasser ist ein interessantes Geschäft, aber das geringste Geschäft, das wir haben. Aber ich bin überzeugt, dass es besser ist, wenn Sie Wasser Menschen zur Verfügung stellen, als dass Sie damit Golfplätze bewässern. Die Wassermenge, die ein Golfplatz in Kalifornien braucht, ist größer, als wir in Kalifornien in Flaschen für den menschlichen Konsum abfüllen.
Kampf um Ressourcen spitzt sich auch beim Ackerland zu.
BRABECK-LETMATHE: Der wird sich weiter zuspitzen. Jede Sekunde sind zwei Menschen mehr zu ernähren und jede Sekunde geht ein halbes Hektar Agrarland verloren. Da muss ich kein mathematisches Genie sein. Die einzige Möglichkeit ist, Renditen der Agrarflächen zu verbessern, Nestlé hat übrigens kein Agrarland.
Sie treten nach 25 Jahren von der Nestlé-Spitze ab. Ihre Bilanz?
BRABECK-LETMATHE: Da müssen Sie meine Aktionäre fragen, ich meine, sie sind sehr glücklich. Über diese 25 Jahre haben wir einen Total Shareholder Return von fast zwölf Prozent pro Jahr in Schweizer Franken geliefert. Wir haben eine reine Lebensmittelfirma zu einer nutrischen Gesundheits- und Wellnessfirma umgebaut mit einer langfristigen, nachhaltigen Orientierung.
Kann man als Chef von 339.000 Mitarbeitern leicht loslassen?
BRABECK-LETMATHE: Ich habe schon losgelassen, als ich den CEO-Job abgab.
Als Sie CEO wurden, habe ich Sie in Vevey besucht und gefragt, ob ein Anden-Bergsteiger wie Sie am Nestlé-Gipfel auch an den einmal fälligen Abstieg denkt.
BRABECK-LETMATHE: Ich erinnere mich genau, was ich sagte: Ein erfolgreicher Bergsteiger ist derjenige, der gesund wieder ins Tal kommt. Ich fliege mit 71 als Pilot, bekomme im Herbst meinen Jet und habe im Wallis die einzige hundertprozentig nachhaltige Kaviarzucht der Welt. Wir sind die Einzigen, die die Fische nicht töten.
Adolf Winkler