Vertreter der österreichischen Wirtschaft und Industrie haben sich am Montag in Wien gemeinsam vehement für die beiden Handelsabkommen mit Kanada und den USA, CETA und TTIP, ins Zeug gelegt. Der jüngste innenpolitische Schwenk in Richtung Populismus auch beim Thema Freihandel wird von Industriellenvereinigung (IV) und Wirtschaftskammer (WKÖ) heftig kritisiert.
Sowohl WKÖ-Vize Jürgen Roth als auch IV-Generalsekretär Christoph Neumayer forderten zwar eine Rückkehr zur Sachlichkeit, gestanden aber ein, dass auch von ihrer Seite als Argumentationshilfe "stammtischtaugliche" Negativszenarien vorbereitet worden seien.
Österreich profitierte vom Freihandel
Hätte Österreich seit 1990 eine ähnliche Einstellung wie heute gegen CETA und TTIP gehabt, wäre das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf um 5.000 Euro geringer bei 34.000 Euro, das Volkseinkommen würde jährlich um 7,3 Mrd. Euro weniger wachsen, so Roth. 50 Prozent der Produkte könnten weiters nicht abgesetzt werden, 41.000 KMUs - 98 Prozent aller Exporteure - könnten nicht mehr am Export teilhaben. Die heimische Wirtschaft würde ohne Exporte um 38 Prozent einbrechen, Österreich hätten um 400.000 Arbeitsplätze weniger, und die Inflation würde um rund 4,6 Prozent höhe liegen.
"Offensichtlich kann eine kleine, feine, hoch entwickelte Volkswirtschaft wie Österreich ohne den Globalisierungsgedanken und den Export, der bei uns für Wohlstand und Beschäftigung sorgt, nicht reüssieren", so Roth.
Kein Effekt für Parteien
"Es gibt keine Grund zu sagen, CETA wäre gefährlich oder wird die österreichische Gesellschaft negativ beeinflussen", betonte Neumayer. Den jüngsten innenpolitischen Schwenk in der Freihandelspolitik könne er nur als Populismus beurteilen. "Ob das ein erfolgreicher Weg ist, wage ich zu bezweifeln. Ich sehe den Sprung in den Umfragen bei der Sozialdemokratie aber auch bei der ÖVP derzeit nicht", meinte Neumayer. Sachlich sei es ein schwerer Fehler, fairen und freien Handel nicht el nicht ermöglichen zu wollen. Der Populismus schädige zudem Österreichs Position in Europa und die heimische Volkswirtschaft.
Es sei ein Mythos, dass eine geringere Globalisierung und geringere Exporte zu mehr Wohlstand und Chancengleichheit führen. Das Gegenteil sei der Fall, Arme blieben arm und Reiche blieben reich, so Roth.
Arbeitsrechte gestärkt
Neumayer ergänzte, dass Umweltstandards durch CETA unberührt bleiben und die Privatisierung kommunaler Dienstleistungen weder in CETA noch in TTIP vorgesehen sei. Die öffentliche Daseinsvorsorge sei ausgenommen und geschützt, alle Handlungsspielräume der öffentlichen Hand blieben gewahrt, in CETA auch die Rechte am Arbeitsplatz in im Umweltschutz. Im Verbraucherschutz könnten Standards weiter nach eigenem Ermessen festgelegt werden. Zum Beispiel sei es nicht möglich, hormonbehandeltes Fleisch nach Europa zu importieren.
Er verstehe die Forderung nach einem Verhandlungs-Stopp bei TTIP nicht, meinte Roth. Die Verhandlungen sollten vielmehr rasch zu Ende geführt werden. Sollte es jetzt nicht zu einem Abschluss kommen, werde sich das "Window of opportunity" - wegen der US-Wahlen und Wahlen in Europa - für einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren schließen. Bis dahin würde uns der asiatische Kontinent mehr und mehr den Rang ablaufen.
Gegen Abschottung
"Wir sind im großen geopolitischen Spiel", ergänzt Neumayer. Die entscheidende Frage sei, ob Europa dabei noch eine gemeinsame Rolle spielen wolle. "Sehr viele finden ihr Heil im Zurückziehen aus den größeren Strukturen. Das halte ich für einen ganz gefährlichen Irrweg", sagte Neumayer. "Wir werden durch Abschottung nicht unseren Wohlstand erhöhen und auch nicht glücklicher werden und auch nicht politisch erfolgreicher."
Europa erziele derzeit mit 7 Prozent der Weltbevölkerung noch 25 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung, in den nächsten Jahren aber nur mehr 20 Prozent. USA und China würden 2030 ebenfalls bei 20 Prozent liegen. Europa leiste sich aber 50 Prozent aller weltweiten Sozialleistungen. Um das aufrecht zu erhalten, bräuchte man definitiv Exporte und Wirtschaftswachstum, so Roth.
Kritiker hoffen auf Unterschriften
Um die Freihandelsabkommen TTIP und CETA sowie das Dienstleistungsabkommen TiSA zu kippen, haben sechs SPÖ-Bürgermeister aus Niederösterreich ein Volksbegehren initiiert. 100.000 Unterschriften sind notwendig, damit die Initiative im Parlament behandelt wird. Er gehe aber davon aus, dass man sich der halben Million nähern werde, sagte Mitinitiator Herbert Thumpser (SPÖ) am Montag in Eisenstadt.
8.400 Unterschriften habe man für die Einleitung eines Volksbegehrens gebraucht. Mehr als 40.000 seien es geworden, darunter über 3.000 aus dem Burgenland, zog der Ortschef von Traisen eine Zwischenbilanz über die Initiative, die mit einem Budget von 7.000 Euro gestartet worden sei.
Man erwarte für Montag oder Dienstag vom Innenministerium die Entscheidung, wann die Eintragungswoche für das Volksbegehren stattfindet. "Unser Wunschtermin wäre der 21. bis 28. November gewesen", so Thumpser. Durch die Verschiebung der Bundespräsidentenwahl könnte dieser Termin sich allerdings ins Jahr 2017 verschieben. Man sei jedenfalls gerüstet, betonte der Bürgermeister.
Ceta nachverhandeln
"CETA muss nachverhandelt werden", alleine schon im Hinblick auf die Folgen des "Brexit", forderte Thumpser: "Uns wäre am liebsten, wenn wir dieses Konstrukt, das wir jetzt vor uns liegen haben, ablehnen". Er sehe bei CETA lediglich Vorteile für internationale Lebensmittelkonzerne und Agrar-Lobbys. Der Bürgermeister verwies auf ein Treffen europäischer Handelsminister am 22. September, bei dem CETA Thema sei. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP), der daran teilnehme, forderte er auf, "bei diesem Treffen CETA abzulehnen".
Betreffend TTIP würde eine zusätzliche Ebene der Gerichtsbarkeit in Form von privaten Schiedsgerichten den rechtsstaatlichen Prinzipien hierzulande widersprechen, meinte der Bürgermeister. Unterstützt wird das Volksbegehren auch von der SPÖ Burgenland. Konzerne könnten gemäß TTIP vor privaten Schiedsgerichten auch Staaten klagen. Dass dadurch der Schutz der Konsumenten untergraben und eine "Paralleljustiz" im Sinne internationaler Konzerne aufgebaut werden könnte, halte er "absolut für problematisch", sagte der burgenländische SPÖ-Klubobmann Robert Hergovich. Daher sei TTIP auch abzulehnen.
Für das Burgenland sei klar: Die Daseinsvorsorge bei Wasser, Energie und dergleichen "muss in öffentlicher Hand bleiben", so Hergovich. TISA würde zudem "eine weitere Öffnung des Arbeitsmarktes für ausländische Dienstleistungen" und eine Ausweitung bei der Entsendung von Arbeitskräften bedeuten. Das Burgenland habe schon jetzt mit der Arbeitsmarktöffnung zu kämpfen. Die SPÖ Burgenland sei gegen eine "Entdemokratisierung zugunsten internationaler Konzerne" und gegen die Aufweichung der hohen europäischen Qualitätsstandards.