Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft und eine Geldstrafe von 250.000 Dollar: Im Skandal um manipulierte Abgaswerte hat der erste VW-Mitarbeiter ein Schuldeingeständnis gegenüber der US-Justiz abgegeben. Damit weitet sich die Affäre vom Zivil- auf das Strafrecht aus und wird so zum Kriminalfall. Der geständige Ingenieur, ein langjähriger VW-Angestellter, will mit den Ermittlern kooperieren.
Das ist ein großer Erfolg für die Fahnder des Justizministeriums und der Bundespolizei FBI - und eine weitere Hiobsbotschaft für den Wolfsburger Autobauer. Ein Jahr lang waren die Ermittler im Einsatz, bis sie ihren ersten Coup landen konnten. Es könnte erst der Anfang sein. Was kommt noch alles ans Licht, wenn der Angeklagte aussagt? Belastet er weitere Mitarbeiter?
Diese Fragen sind derzeit noch schwer zu beantworten. Doch fest steht: In den USA laufen solche Kriminalfälle nach einem klaren Schema ab - um sein Strafmaß zu verringern, muss der Angeklagte möglichst viel auspacken. Da er seine Schuld schon zugegeben hat, gibt es wenig Gründe, mit Geheimnissen hinter dem Berg zu halten.
Klagen und Kosten
Für VW könnte es dadurch noch unangenehmer und teurer werden. Der Konzern hat sich bereits bei Hunderten Zivilklagen auf einen Vergleich über bis zu 15,3 Milliarden Dollar geeinigt. Erst im August hatten US-Medien berichtet, auch bei den brisanten strafrechtlichen Ermittlungen werde über einen Vergleich verhandelt. Jetzt hält die US-Justiz mit dem Zeugen plötzlich einen Trumpf in der Hand.
Eine VW-Sprecherin wollte sich zu dem Fall nicht äußern. Sie teilte lediglich mit, dass man weiterhin mit dem US-Justizministerium kooperieren werde.
Der Fall birgt für VW hohe Brisanz. In einer eigenen Ermittlung war der Konzern zu dem Schluss gekommen, dass Top-Manager keine Schuld am Dieseldebakel treffe. Die bisherigen Ergebnisse der strafrechtlichen Ermittlungen in den USA stehen auch nicht im Widerspruch zu VW's Darstellung, nur eine kleine Gruppe von Ingenieuren habe Bescheid gewusst. US-Staatsanwälte gehen indes von einer Verschwörung bis in die Chefetage aus. Die Zeugenaussagen im strafrechtlichen Verfahren könnten für Klarheit sorgen.
VW-Chef Matthias Müller sagte der "Bild am Sonntag" auf die Frage, ob er wisse, wann er von der Betrugssoftware erfahren habe: "Ich persönlich? Ja." Es sei aber "fest vereinbart, dass wir als Unternehmen uns zwischenzeitlich nicht dazu äußern, um die Aufklärung nicht zu beeinflussen, und damit hier kein zusätzlicher Schaden entsteht." Ihm sei klar, das dies für die Öffentlichkeit wenig befriedigend sei. "Wir haben ja selbst das größte Interesse, dass alle Fakten und Hintergründe auf den Tisch kommen, auch damit die Spekulationen ein Ende haben."
Gefährlicher Kronzeuge
Für VW könnte der 25 Jahre in der Konzernzentrale in Wolfsburg und danach in den USA tätig gewesene Angeklagte zu einem gefährlichen Kronzeugen werden. Dass es weitere Strafanzeigen geben wird, gilt als sicher. Laut Anklageschrift gab es noch etliche andere am Betrug Beteiligte. Sein Mandant sei "einer von vielen bei Volkswagen" gewesen, sagte der Anwalt des Ingenieurs.
In den Gerichtsdokumenten befinden sich Auszüge aus E-Mails, die ab März 2015 von VW-Mitarbeitern ausgetauscht wurden. Zu dem Zeitpunkt waren die dubiosen Emissionswerte bereits ins Visier der US-Umweltbehörden geraten. Unter der Betreffzeile "VW TDI test at [C]ARB" wurde demnach nervös diskutiert, wie man die argwöhnischen Regulierer des kalifornischen Umweltamts CARB ruhigstellen könnte.
Druck steigt
Man brauche dringend eine Story, um zu erklären, warum der Schadstoffausstoß so hoch sei, heißt es in den Nachrichten. Die Aufseher müssten irgendwie zurückgehalten werden. "Ansonsten haben wir nichts mehr zu lachen!!!!". Die E-Mails zeigen, wie der Druck stieg. "[C]ARB wartet weiter auf Antworten..... Wir haben immer noch keine gute Erklärung!!!!", schrieb einer der Mitarbeiter.
Der geständige Ingenieur räumte auch ein, persönlich dabei gewesen zu sein, als Vertreter der US-Behörden über die unter dem Namen "Clean Diesel" vermarktete Schummel-Technik getäuscht wurden. Bei einem der Treffen sei im März 2007 bewusst verschleiert worden, dass die zur Zulassung angemeldeten Fahrzeuge illegale Software zur Abgaskontrolle an Bord hatten.