Die geringe Steuerleistung zahlreicher internationaler Firmen lässt derzeit die Wogen hochgehen. Von Apple über Starbucks bis Fiat haben Großkonzerne mit den Steuerbehörden einzelner EU-Länder, darunter insbesondere Irland, Luxemburg, die Niederlande und Belgien, Sondervereinbarungen getroffen, die dazu führen, dass letztlich praktisch keine Steuer fällig wird.
Die Finanzminister der EU-Staaten haben deshalb den Samstagvormittag Maßnahmen gegen Steuerbetrug und -vermeidung gewidmet. Alle Mitgliedsstaaten sind bereit, die von der internationalen Gemeinschaft geforderten Maßnahmen gegen Steuervermeidung (BEPS) umzusetzen, resümierte Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) nach der Sitzung.
Einerseits geht es um Absprachen von Großfirmen mit einzelnen EU-Staaten, die zu einer fast gänzlichen Steuerbefreiung führen. Die EU-Kommission hat deshalb in einigen Fällen Steuernachzahlungen gefordert - als prominentesten Fall von Apple 13 Mrd. Euro. Sowohl Irland als auch Apple berufen gegen diese Entscheidung, weil sie sich auf historische Vereinbarungen bezieht. Andere Länder, darunter Österreich, prüfen, ob vielleicht für Sie auch Auswirkungen zu erwarten sind. Allerdings sei es unwahrscheinlich, dass daraus für Österreich wesentliche Rückflüsse entstehen, bremste Schelling allfällige Erwartungen. Grundsätzlich ist nun der EuGH am Zug, zu entscheiden, ob die nachträgliche Einstufung der Abmachung durch die EU-Kommission als unzulässige Staatsbeihilfe EU-Recht entspricht. Das kann leicht zwei Jahre dauern.
Österreichisches Pilotprojekt
Für Schelling wichtiger ist eine Anpassung des Mehrwertsteuersystems. Österreich will in einem Pilotprojekt dafür sorgen, dass die Firma, die ein Produkt oder eine Dienstleistung kauft, dafür die Mehrwertsteuer abführen muss und nicht die verkaufende Firma ("reverse charge"). Spätestens im ersten Quartal 2017 will die EU-Kommission ihre Vorschläge für eine Reform des Mehrwertsteuersystems vorlegen. Sollte darin das Pilotprojekt vorgesehen sein und sollten die anderen EU-Staaten zustimmen, dann könnte eventuell mit Anfang 2018 für heimische Firmen eine Umstellung kommen. Österreich hat allerdings erstmals 2006 die Forderung nach einem solchen Pilotprojekt gestellt, bisher wurde es nicht genehmigt. Derzeit gibt es nur für einzelne Sektoren, darunter Schrotthandel und Bau, ein "reverse charge" - und das "funktioniert hervorragend", so Schelling. Im Schrotthandel gebe es keine Schadensfälle mehr.
Mehrwertsteuerbetrug fällt aber mehr ins Gewicht als Steuersonderregeln für Großfirmen, sagt Schelling. Nach Zahlen der EU-Kommission liegt der europaweite Schaden bei jährlich 160 Mrd. Euro, in Österreich gehen dadurch jährlich 2,9 Mrd. Euro (10 Prozent des Gesamtaufkommens) verloren.
Schelling hat auch den Glauben an die Finanztransaktionssteuer (FTT) nicht aufgegeben. Im Oktober soll es nun von den zehn teilnehmenden Ländern eine "klare Entscheidung" geben. Gibt es weiter keine Einigung, will Schelling den Vorsitz dieser Untergruppe der EU-Länder aufgeben. Selbst wenn es die zehn schaffen sollten, sich auf einen gemeinsamen Weg zu einigen, brauchen sie noch grünes Licht aller EU-Länder, um es auch formell im Rahmen einer sogenannten "verstärkten Zusammenarbeit" umsetzen zu können. Wenn noch zwei Länder abspringen, ist die nötige Mindestteilnehmerzahl nicht mehr gegeben und das Projekt ebenfalls tot. "Es ist alles ausdiskutiert, die Vorschläge sind alle grundsätzlich akzeptiert, aber (dann) taucht immer irgendwo ein Beistrich auf, den man diskutieren muss." Das verzögere die Einigung, schilderte Schelling die Probleme in der Gruppe.
EU-Kommission und OECD sollen nun die wenigen verbliebenen Fragen beantworten, so Schelling. Sorgen gibt es noch, welche Auswirkungen es hat, wenn ein Nachbarland nicht bei der Finanztransaktionssteuer mitmacht und für Belgien, welche Auswirkungen es auf das Pensionssystem haben wird. Auch wenn man Expertenmeinungen einhole, sei es "nicht so, dass das Thema auf die OECD ausgelagert wird", so Schelling. Man werde mit OECD und G-20 reden, um ihre Expertise zu holen, aber nicht um die Entscheidung über die Einführung zu verlagern, meint Schelling.
In EU-Kreisen sieht man die Einbindung der G-20 hingegen als Hinweis darauf, dass das Projekt lahmgelegt wird. Denn dort ist nicht mit einer Zustimmung zu rechnen. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte am Samstag nach dem Finanzministertreffen, Europa habe Probleme mit der wichtigen Idee der Finanztransaktionssteuer. "Das funktioniert nicht, wenn man das nicht global macht". Aber nun werde Schelling einmal einen Brief an die OECD schicken und dann werde man weitersehen.