Rewe-Chef Alain Caparros warnte bereits, der Internetriese werde "wie ein Tornado in die Branche einziehen und so manchen Händler in Schwierigkeiten bringen".
Es geht um einen riesigen Markt. Rund 170 Milliarden Euro geben die Bundesbürger Jahr für Jahr im Lebensmitteleinzelhandel aus. Doch während sich die Onlinehändler im Buchhandel oder bei Textilien längst ein großes Stück des Kuchens gesichert haben, spielt der E-Commerce im Lebensmittelhandel noch eine kaum sichtbare Rolle. Nur rund ein Prozent der Branchenumsätze entfallen auf das Internet.
"Amazon könnte Dammbruch bewirken"
Amazon trauen viele Branchenkenner zu, das zu ändern - zu Lasten der Platzhirsche Edeka, Rewe oder Aldi. "Amazon könnte hier einen Dammbruch bewirken", meint etwa Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein. Der Handelsexperte geht davon aus, dass der US-Konzern noch heuer den bisher nur in einigen US-Metropolen und in London angebotenen Lebensmittellieferdienst Amazon Fresh auch in Deutschland starten und dann auch hierzulande frische Lebensmittel bis an die Wohnungstür liefern wird - zunächst wohl in Berlin.
Amazon selbst schweigt zwar zu seinen Plänen. Doch kann der Start von Amazon Now im Mai durchaus als Aufwärmen für den großen Coup betrachtet werden. Immerhin können sich Kunden des Abo-Dienstes Prime in der Bundeshauptstadt damit schon jetzt innerhalb von einer Stunde eine begrenzte Auswahl von Lebensmitteln wie frisches Obst und Gemüse, Tiefkühlpizzen oder Getränke liefern lassen. Amazon Fresh würde das Angebote noch einmal drastisch vergrößern - auch wenn die Lieferung vielleicht ein bisschen länger dauern würde.
"Kunden abspensitig gemacht"
Ein leichtes Spiel dürfte die Eroberung des Lebensmittelmarktes für Amazon aber dennoch nicht werden. "In anderen Branchen haben die Online-Händler anfangs den etablierten Händlern die Kunden immer mithilfe niedrigerer Preise abspenstig gemacht. Im Lebensmittelhandel wird das nicht funktionieren", ist der Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung (IFH) Kai Hudetz überzeugt. Denn dort herrsche schon heute ein starker Preiswettbewerb. Wer das im Internet toppen wollte, werde nur massenhaft Geld verbrennen.
Vor allem zwei Probleme machen den Online-Lebensmittelhändlern bisher in Deutschland das Leben schwer: die Preissensibilität der Kunden und die hohe Dichte an Supermärkten und Discountern. Mehr als drei Viertel der Verbraucher sind nach einer IFH-Studie mit den Supermärkten in ihrer Nachbarschaft zufrieden und sehen deshalb bisher wenig Sinn darin, Lebensmittel online einzukaufen. Die hohen Liefergebühren und Mindestbestellmengen der Lieferdienste stoßen bei ihnen auf wenig Verständnis.
Ausweg aus dem doppelten Dilemma
Branchenkenner trauen Amazon noch am ehesten zu, einen Ausweg aus diesem doppelten Dilemma zu finden: Wegen der großen Erfahrung der Amerikaner in Sachen Logistik und Kundenservice. Aber auch weil der Abo-Dienst Prime dem Unternehmen dank der Bündelungseffekte mit anderen Sortimenten ganz andere Kalkulationsmöglichkeiten bietet, als sie Konkurrenten wie Rewe oder Lidl haben, wie Heinemann betont.
Die deutschen Platzhirsche tun deshalb wohl gut daran den US-Giganten ernst zu nehmen, so wie Rewe-Chef Caparros. Der Manager ist überzeugt, der Vorstoß von Amazon werde zu einer weiteren Verschärfung des Verdrängungswettbewerbs" im deutschen Lebensmittelhandel führen.
Das schizophrene am Online-Handel
Caparros ist seit geraumer Zeit dabei den Kölner Handelsriesen für die Stunde X vorzubreiten. Rewe bietet inzwischen in rund 75 Städten die Möglichkeit, Lebensmittel - von der Bio-Banane bis zum Rinderfaschierten - im Internet zu ordern und dann nach Hause geliefert zu bekommen. Die Kölner sind damit Vorreiter unter den etablierten Supermarktketten. Der Rivale Edeka ist bisher deutlich zurückhaltender bei seinem Online-Engagement.
Für die Handelsexperten Hudetz und Heinemann steht fest, der Online-Handel mit Lebensmitteln wird - auch dank Amazon - in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Doch schränkt Heinemann ein: "Der Onlinehandel wird im Lebensmittelbereich wohl nie die Bedeutung bekommen wie bei Elektronikartikeln oder Büchern."
Das Problem der Branche bringt Hudetz auf den Punkt: "Das schizophrene am Online-Handel mit Lebensmitteln ist: Dort, wo er den größten Mehrwert bieten würde - auf dem Land - funktioniert er nicht, weil die Kosten durch die Decke gehen. Wo er sich rechnen könnte wie zum Beispiel in Berlin, gibt es an jeder Ecke einen Supermarkt und das macht ihn für die Kunden unattraktiv."
Von Erich Reimann, dpa