Das Wirtschaftswachstum nimmt in Österreich an Fahrt auf - heuer durch Sonderfaktoren wie die für den Konsum günstige Steuerreform, nächstes Jahr durch globale Einflüsse. Laut Wifo soll das BIP 2016 und 2017 um je 1,7 Prozent zulegen, laut IHS um je 1,5 Prozent. Die Maschinensteuer-Debatte kommt für die Experten wegen der niedrigen Produktivität zur falschen Zeit. Einen Brexit erwarten sie nicht.
"Österreich schleicht sich langsam aus der Krise nach oben heraus", fasste bei der Vorlage der neuen Prognose Wifo-Chef Karl Aiginger zusammen, der per 31.8. das von ihm seit 2005 geleitete Institut verlässt, "nach ungefähr 50 Prognosepräsentationen". Sein Nachfolger, Ex-WU-Rektor Christoph Badelt, wohnte heute als Beobachter bei.
Stärkere Nachfrage
Getragen wird das stärkere Wachstum von einer belebten Binnennachfrage, gestützt von einer günstigen Beschäftigungssituation und steigenden Einkommen der Privathaushalte. "Die Konjunkturerholung festigt sich. Wir wachsen wieder gleich schnell wie die Eurozone", meinte Helmut Hofer vom IHS, womit der in den letzten zwei Jahren aufgebaute Wachstumsrückstand egalisiert werden könne. Die Exportwirtschaft erhält wegen der zögerlichen Welthandelsentwicklung vorerst nur begrenzte Impulse. 2017 soll Österreich verstärkt von der globalen Konjunktur profitieren und so stark wie heuer wachsen. 2015 war das BIP nur um 0,9 Prozent gestiegen.
Für die Aktiv-Beschäftigten erwartet das IHS für heuer einen Zuwachs um 1,5 Prozent, für nächstes Jahr ein Plus von 1,2 Prozent. "Dies reicht aber nicht aus, um den Anstieg des Arbeitskräftepotenzials vollständig aufzunehmen", erklärt das Institut. Die anhaltende Ausweitung des ausländischen Arbeitskräfteangebots - vor allem aus ost- und mitteleuropäischen EU-Staaten - werde durch den Zustrom von Asylwerbern verstärkt. Dazu steigt auch die Erwerbsneigung von Frauen und Älteren, so dass die Zahl der Erwerbspersonen wächst.
Die Arbeitslosenquote nach heimischer Rechnung dürfte laut Wifo nächstes Jahr auf 9,6 Prozent klettern, dem IHS zufolge auf 9,7 Prozent. Heuer sieht das Wifo 9,2 und das IHS 9,3 Prozent. 2015 lag die Quote bei 9,1 Prozent.
Gegen Maschinensteuer
Eine Wertschöpfungsabgabe wäre aus Sicht Aigingers "in diesem Zeitpunkt nicht die richtige Maßnahme". Und Hofer vom IHS: "Jetzt ist die Debatte unpassend, weil die Produktivität ohnedies recht niedrig ist." Produktionswachstum und Arbeitsproduktivitätswachstum seien momentan "sehr niedrig", so dass eine Wertschöpfungsabgabe wohl in den nächsten fünf Jahren nicht angeraten sei, gab der Wifo-Chef zu verstehen. Eine Wertschöpfungsabgabe sei "zum Großteil eine Steuer auf den Faktor Investitionen" und daher "nicht BIP-Wachstum-fördernd", warnte Hofer. Mit Forderungen nach einer Arbeitszeitverkürzung kann der IHS-Experte nichts anfangen: "Ein Wirtschaftswachstum, das nicht erzielt wird, kann nicht verteilt werden."
Trotz höherer BIP-Zuwachsrate ist 2016 die Konjunkturdynamik noch gering. Vielmehr basiert das Plus heuer wesentlich auf den Sonderfaktoren Steuerreform, Flüchtlingszustrom und einem "Kalendereffekt", nämlich dem Schaltjahr. Ohne diese Faktoren würde das BIP nur geringfügig stärker wachsen als 2015, kaum über ein Prozent.
Die Flüchtlinge tragen laut Aiginger heuer zu Konjunktur - und Konsumbelebung - im Ausmaß von rund 0,2 Prozent bei. Hofer bezifferte den BIP-Effekt durch Flüchtlinge mit 0,1 Prozent, den Steuerreform-Einfluss mit 0,2 Prozent.
Aufschwung 2017
Erst 2017 dürfte die Konjunktur wesentlich dynamischer verlaufen. Vor allem der Außenhandel sollte dann - durch Belebung von Welthandel und Weltkonjunktur - stärker zum heimischen Wachstum beitragen. "Derzeit stottert der Export-Turbo noch ein bisschen", so Aiginger. In den USA soll die Expansion 2017 kräftiger ausfallen, ähnlich dürfte sich der Euro-Raum weiter erholen, glaubt das Wifo. Zudem sollten die Rohstoffpreise dann die Talsohle durchschritten haben - mit besseren Perspektiven für die Schwellenländer. Damit könne der Außenhandel durch eine Steigerung der Exporte 2017 deutlich stärker zum Gesamtwachstum Österreichs beitragen, wird erhofft.
Der rein ökonomische Effekt eines Austritts Großbritanniens aus der EU wäre relativ gering, entscheidend sei, wie ein allfälliger Brexit-Entscheid umgesetzt werde, sagte Aiginger. Bei einem "Remain" würde die Unsicherheit wegfallen, es seien sogar positive Auswirkungen möglich, etwa wenn Europa dynamischer werde. Hofer erwartet einen Verbleib in der EU: "Wir unterstellen in unserer Prognose, dass es keinen Brexit gibt", sagte Hofer vor Journalisten. Österreich sei etwa weniger stark als Deutschland mit Großbritanniens Wirtschaft verflochten, rund 3 Prozent der Austro-Exporte würden dorthin gehen und etwa 1,8 Prozent der Importe von dort kommen.
Für den Privatkonsum geht das Wifo für 2016 durch Steuerreform und Niedriginflation von 1,7 Prozent Plus aus, das IHS von 1,5 Prozent - nach 0,4 Prozent 2015. Wie bei früheren Steuerreformen sollten die Zusatzeinkommen die Sparquote ankurbeln, um einen dreiviertel Prozentpunkt auf fast 8 Prozent. 2017 sollte die Sparquote wieder leicht sinken und das Konsumwachstum laut Wifo 1,3 Prozent und dem IHS zufolge 1,2 Prozent betragen.
Treibstoffe weiterhin günstig
Die Inflation, die sich heuer bisher reduziert hat (auf 0,6 Prozent im Mai, nach 1,2 Prozent im Jänner), dürfte laut Wifo heuer im Gesamtjahr bei 1,1 Prozent liegen, laut IHS bei 1,0 Prozent. Der Teuerungsrückgang geht primär auf die stark gefallenen Energiepreise zurück. Für 2017 erwarten Wifo und IHS die Inflation bei 1,8 bzw. 1,7 Prozent. Den Brent-Ölpreis sieht das Wifo 2016/17 bei 48 bzw. 57 Dollar je Fass, nach 52,5 Dollar 2015. Auch 2017 werde Öl billig bleiben, wegen eines festeren Euro würde der Anstieg für uns sogar schwächer ausfallen.
Die Anlageinvestitionen haben sich in Österreich nach langer Schwäche wieder belebt. Heuer sollten die Bruttoanlageinvestments rund zwei Prozent zulegen, nach nur einem halben Prozent Plus im Vorjahr. Derzeit sei noch kein nachhaltiges Investitionswachstum zu sehen, meinte Aiginger - die Investitionsschwäche gebe es aus mangelnder Zuversicht der Unternehmen. 2017 scheint den Instituten hier doch eine weitere leichte Beschleunigung möglich. Unterstützend wirken da günstige Finanzierungskonditionen und der Bedarf an Ersatzinvestitionen, so das IHS. Jedoch haben zuletzt laut Wifo zuletzt knapp 30 Prozent der Kredit suchenden Unternehmen keinen Bankenkredit erhalten - ein in der Erhebungsreihe "sehr hoher Wert", wie hinzugefügt wird.
Den Belastungen der heimischen öffentlichen Haushalte durch die Lohn- und Einkommensteuer-Tarifanpassung mit der Steuerreform sowie Bankenhilfen und Flüchtlings-Ausgaben steht eine günstige Entwicklung vor allem der Zinsausgaben gegenüber. Flüchtlings-Versorgung und -Betreuung sowie Mindestsicherung erfordern 2016 laut Wifo 1,0 Mrd. Euro und 2017 0,7 Mrd. Euro. Samt den bis 2020 konkretisierten Mehrausgaben bei Integration, Recht und Sicherheit betrage der Aufwand 2016 und 2017 je rund 2,1 Mrd. Euro. Nach 1,2 Prozent im Vorjahr werde sich das Maastricht-Defizit des Gesamtstaates heuer auf 1,7 Prozent des BIP verschlechtern und 2017 auf 1,5 Prozent zurückgehen, so das Wifo. Das IHS sieht heuer 1,8 und dann 1,4 Prozent Defizit 2017.
Weltwirtschaft wächst verhalten
Die Weltwirtschaft wuchs im ersten Quartal ähnlich verhalten wie Ende 2015 "und blieb somit erneut hinter den Erwartungen zurück", so das Wifo. In einigen wichtigen Industrieländern blieb das Wachstum gedämpft, dafür scheint sich die Konjunktur vieler Schwellenländer - nach der Eintrübung 2015 - zuletzt stabilisiert zu haben. Laut den Vorlaufindikatoren dürfte die Flaute in den Industrieländern "rasch zu überwinden sein", heißt es, und in den Schwellenländern sollte die Konjunktur durch eine Festigung der Rohstoffpreise wieder an Dynamik gewinnen.
Um 3,0 Prozent soll die Weltwirtschaft laut Wifo heuer wachsen, 2017 mit 3,4 Prozent noch stärker. Heuer zeichne sich zwar in einem Teil der Absatzmärkte der Austro-Exporteure eine Wachstumsverlangsamung ab. Dies betreffe die USA, Großbritannien, Schwellenländer wie China, aber auch MOEL-Länder wie Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei. Dafür dürfte die Konjunktur im Euro-Raum 2016 etwas stärker als zuletzt erwartet anziehen, nämlich wie im Vorjahr um 1,6 Prozent, "und damit für Österreichs Exportwirtschaft vermehrt positive Impulse setzen".