Gleicher Lohn für gleiche Arbeit im gleichen EU-Land: Auf Druck von Österreich, Deutschland und anderen reichen EU-Staaten hat die EU-Kommission am Dienstag einen Vorschlag für die Überarbeitung der Entsenderichtlinie aus dem Jahr 1996 vorgeschlagen. Dieser stieß prompt auf Kritik. SPÖ und Gewerkschaft geht das vorgeschlagene Regelwerk nicht weit genug, auch die ÖVP ist unzufrieden.
Der Vorschlag der EU-Kommission bedarf noch der Zustimmung der Mitgliedsländer und des EU-Parlaments, es könnte sich also noch einiges ändern. Grundsätzlich will die Brüsseler Behörde, dass künftig von Firmen ins Ausland entsandte Arbeitnehmer gleich viel verdienen wie lokale Arbeitnehmer. Bisher galten für Arbeitnehmer nur Mindestlohnsätze, entsandte Beschäftigte hatten keinen Anspruch auf Prämien oder Zulagen.
Auch Zuschläge sollen gezahlt werden
Die Kommission nennt ein konkretes Beispiel: In Belgien kann ein Bauarbeiter neben dem Mindestlohn (je nach Lohnkategorie zwischen 13,4 und 19,3 Euro pro Stunde) auch ein Schlechtwettergeld, eine Mobilitätsbeihilfe, eine Zulage für besondere Arbeiten und eine Entschädigung für Werkzeugverschleiß bekommen.
Weiters will die Kommission die Länder dazu verpflichten, die Entsenderichtlinie auf alle Branchen auszuweiten. Derzeit gilt das Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" nur für das Baugewerbe, und die Mitgliedstaaten können selbst entscheiden, ob sie allgemein verbindliche Tarifverträge (Kollektivverträge) auf entsandte Arbeitnehmer in anderen Sektoren anwenden wollen. Es bleibt also den Staaten überlassen, ob sie Kollektivverträge für verbindlich erklären oder nicht. In Österreich und neun anderen Ländern sind die Kollektivverträge bereits in sämtlichen Branchen für entsandte Arbeitnehmer verpflichtend. Für diese Länder ändert sich daher in dem Punkt nichts.
Bei Subunternehmerketten haben Mitgliedsländer laut EU-Kommission die Möglichkeit, für entsandte Arbeitnehmer jene Vergütungsvorschriften vorzusehen, die auch für den Hauptauftragnehmer gelten - und zwar auch dann, wenn sich diese Vorschriften aus Tarifverträgen ergeben, die nicht allgemein verbindlich sind. Die Mitgliedstaaten könnten demnach den Hauptauftragnehmer dazu verpflichten, nur mit Firmen zusammenzuarbeiten, die bestimmte Entlohnungsvorschriften einhalten. Gibt es auf nationaler Ebene eine solche Regelung, könnten Staaten sie auch auf Unterauftragnehmer anwenden, die ihre Beschäftigten ins Ausland schicken.
Gleichbehandlung von Leiharbeitern
Entsandte Leiharbeiter will die Brüsseler Behörde ebenfalls gleich behandelt wissen wie die Kollegen der Firma, für die sie arbeiten. Österreich hat diesen Grundsatz bereits umgesetzt, zahlreiche andere Staaten müssten dagegen ihr nationales Recht ändern.
Die EU-Kommission will die maximale Entsendedauer auf 24 Monate beschränken. Ab dem ersten Tag, an dem abzusehen ist, dass ein Arbeitnehmer für mehr als zwei Jahre im Ausland arbeiten wird, spätestens aber nach Überschreitung der 24 Monate, soll für die entsandten Beschäftigten künftig das Arbeitsrecht des Aufnahmemitgliedstaats gelten. Das beinhaltet zum Beispiel den Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung, den etwa Deutschland vorsieht, andere EU-Staaten hingegen nicht, erklärt die Kommission.
Gleichzeitig betonte die EU-Kommission in am Dienstag präsentierten Unterlagen, dass man der "Vielfalt der nationalen Gegebenheiten" Rechnung tragen wolle. In die unterschiedlichen Tarifverhandlungssysteme will Brüssel nicht eingreifen, auch hat die Behörde nicht vor, Unternehmen vorzuschreiben, wie viel sie ihren entsandten Beschäftigten zahlen müssen, wie es heißt. Das Wort Lohndumping nimmt die Kommission nicht in den Mund.
Wenig Begeisterung in Österreich
In Österreich wird der Vorschlag der EU-Kommission bisweilen mit gedämpfter Freude aufgenommen. Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) sprach am Mittwoch von einem "Schritt in die richtige Richtung", jedoch sieht er noch einiges an Nachbesserungsbedarf. "Die maximale Entsendedauer von 24 Monaten ist zu lange", so Stöger zur APA. Zudem sollten die Sozialversicherungsbeiträge von dem berechnet werden, was die Beschäftigten tatsächlich verdienen. "Diese Forderung ist noch nicht enthalten." Stöger will weiters festgelegt haben, dass Nationalstaaten bei bestimmten Punkten strengere Regelungen treffen dürfen.
Noch schärfer fiel die Kritik von AK-Präsident Rudolf Kaske aus. "An keiner Stelle des Papiers gibt es einen Fortschritt im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping", befindet er. Die Begrenzung der Entsendung auf zwei Jahre bewirke praktisch nichts, denn nur wenige Entsendungen dauerten länger als zwei Jahre. Es sei wieder eine Chance vertan worden, "wirksame Maßnahmen gegen Scheinentsendungen und unfairen Wettbewerb durch niedrige Sozialversicherungsabgaben zu ergreifen oder etwa eine klare Verpflichtung des Arbeitgebers festzuschreiben, bei Entsendungen die Kosten für Reise, Unterkunft und Verpflegung zu übernehmen", so Kaske in einer Aussendung.
Auch ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka "weiß nicht, wo da der große Erfolg ist, weil in Wirklichkeit sind Punkte, die uns sehr wichtig sind, ja jetzt nicht angesprochen", wie er im ORF-Morgenjournal sagte. Etwa sollten Strafbescheide für Lohndumping im Ausland auch tatsächlich vollstreckt werden. Aus dem Wirtschaftsministerium heißt es, man müsse aufpassen, dass es für österreichische Firmen, die ihre Beschäftigten ins Ausland entsenden, keine zusätzlichen Hürden gibt. Österreich habe jetzt schon das schärfste Antilohn- und Sozialdumpinggesetz.
Die Industriellenvereinigung (IV) warnte dagegen, die Dienstleistungsfreiheit "als grundlegende Säule der EU" zu beschädigen. Auch die Wirtschaftskammer (WKÖ) will keine "unnötigen und willkürlichen Verschärfungen"; das Um und Auf für fairen Wettbewerb seien Kontrollen auch von ausländischen Betrieben.