Europas Währungshüter haben sich unter Zugzwang gesetzt. Weil das viele billige Geld bisher nicht wie gewünscht wirkt, wird die EZB aller Voraussicht nach erneut nachlegen.
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann ist einer der schärfsten Kritiker einer weiteren Lockerung der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) - doch ausgerechnet bei der Sitzung des EZB-Rates an diesem Donnerstag (10.3.) darf er nicht mit abstimmen. Grund ist ein Rotationsverfahren im Entscheidungsgremium der Notenbank. Es greift, seit Litauen per 1. Jänner das 19. Mitglied im Euro-Club wurde.
Mario Draghi hat - mal wieder - Hoffnungen geschürt: "Der EZB-Rat ist fähig, entschlossen und willens zu handeln." Und: "Wenn wir den Willen haben, unser Ziel zu erreichen, dann haben wir auch die Mittel dazu." Bei der nächsten Sitzung an diesem Donnerstag (10.3.) in Frankfurt könnte die Europäische Zentralbank (EZB) weitere Schritte im Kampf gegen Mini-Inflation und Konjunkturschwäche beschließen - fast genau ein Jahr nach dem Start eines milliardenschweren Anleihenkaufprogramms.
Was hat die EZB bisher getan?
Die Zinsen im Euroraum wurden unter Draghi quasi abgeschafft, der Leitzins liegt seit September 2014 mit 0,05 Prozent nur noch knapp im positiven Bereich. Zusätzlich kauft die Notenbank seit dem 9. März 2015 in großem Stil Staatsanleihen und andere Wertpapiere. 60 Mrd. Euro nimmt die EZB dafür in die Hand - Monat für Monat. Im Dezember verlängerte der EZB-Rat dieses Programm ("Quantitative Easing"/QE) um ein halbes Jahr bis mindestens März 2017. Das viele billige Geld soll über Geschäftsbanken in Form von Krediten bei Verbrauchern und Unternehmen ankommen und die Wirtschaft ankurbeln.
Warum wollen die Währungshüter nun erneut nachlegen?
Oberstes Ziel der EZB sind stabile Preise - und die definieren Europas Währungshüter bei einer Teuerungsrate von knapp unter 2,0 Prozent. Doch davon ist die Inflation trotz der Geldflut der Notenbank weiterhin meilenweit entfernt. In Deutschland drückte der erneute Absturz der Ölpreise die jährliche Teuerungsrate im Februar nach vorläufigen Zahlen auf Null. Im Euroraum fielen die Verbraucherpreise erstmals seit einem halben Jahr sogar wieder: Die Inflationsrate ging auf minus 0,2 Prozent zurück. Das dürfte die EZB nach Einschätzung von Commerzbank-Analyst Christoph Weil bestärken, ihre eigenen Inflationsprognosen zu senken: "Dies macht den Weg frei für weitere expansive Maßnahmen."
Was könnte die EZB noch tun?
Viele Ökonomen gehen davon aus, dass die Währungshüter den Strafzins nochmals verschärfen, den Banken bezahlen müssen, wenn sie kurzfristig Geld bei der Notenbank parken. Seit Dezember liegt er bei 0,3 Prozent. Möglich wäre auch eine Staffelung dieses Zinses je nach Höhe der Einlagen. Müssen Banken mehr für das Bunkern von Liquidität zahlen - so die Theorie - bringt sie das eher dazu, das Geld als Kredit an Verbraucher und Unternehmen weiterzureichen. Theoretisch könnte die EZB auch das Volumen ihrer monatlichen Wertpapierkäufe aufstocken oder Grenzen aufweichen, die im Rahmen ihres QE-Programms eingezogen wurden - wie die, dass die Zentralbank nicht mehr als 33 Prozent der Anleihen eines Staates kaufen darf. Solche Schritte sind im EZB-Rat aber wesentlich umstrittener als das Thema Strafzinsen.
Bringt das alles eigentlich etwas?
Ökonomen raten zu mehr Besonnenheit: Hauptgrund für die niedrige Inflation sei der Absturz der Ölpreise - und der sei zugleich ein Konjunkturprogramm. "Der niedrige Ölpreis lässt der Inflation keinen Raum zum Atmen. Doch die Lage ist nicht so gravierend, wie die Gesamtrate glauben macht", kommentierte KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner die jüngsten Inflationszahlen. Und da die Finanzmärkte eine Erholung der Rohölpreise erwarteten, sei für 2017 im Durchschnitt eine Inflationsrate von rund zwei Prozent wieder realistisch. "Deshalb sollte die EZB über die aktuelle Flaute hinwegsehen", riet Zeuner. "Vor allem eine weitere Absenkung des bereits negativen Einlagensatzes erscheint mir per Saldo wenig wirksam."
Welche Folgen haben Negativzinsen?
Für Privatkunden schließen die meisten Kreditinstitute Strafzinsen weiterhin aus. Anders sieht es für institutionelle Investoren wie Versicherungen und Pensionsfonds aus. Bei solchen Kunden "muss die Parkgebühr mit bezahlt werden, das können wir nicht drauflegen", sagt der geschäftsführende Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes Hessen-Thüringen, Gerhard Grandke. Auch DZ-Bank-Chef Wolfgang Kirsch meint, Banken könnten es sich auf Dauer nicht leisten, bei Großkunden Negativzinsen auszuschließen: "Im institutionellen Geschäft müssen wir zunehmend marktnahe Konditionen auf den Weg bringen." Das trifft - zumindest indirekt - auch Sparer, die ohnehin schon unter dem Zinstief leiden. Denn zum Beispiel für Versicherer wird es immer schwieriger, die Gelder ihrer Kunden lukrativ anzulegen.
Bringt das viele billige Geld überhaupt was?
Allianz-Chef Oliver Bäte kritisiert: "Dem Sparer wird in die Tasche gegriffen, und irgendjemand anders kriegt das Geld - ich glaube nicht, dass das gut ist." Seit Jahren befeuert das billige Geld der Zentralbanken die Aktienmärkte, die Nachfrage nach Immobilien boomt. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hält nichts von einer weiteren Ausweitung des ultralockeren Kurses: "Eine solche geldpolitische Reaktion kann längerfristige Risiken und Nebenwirkungen haben, die nicht einfach ausgeblendet werden können." Hätten sich Regierungen erst einmal an das billige Zentralbankgeld gewöhnt, "könnte der Druck zunehmen, das geldpolitische Programm länger aufrechtzuerhalten, als es für die Preisstabilität geboten wäre", warnt Weidmann. DZ-Bank-Chef Kirsch fordert eine Ende der Geldflut: "Ich würde mir wünschen, dass Herr Draghi mal einen zeitlichen Endpunkt definiert. Diese Phase des unendlichen Fortentwickelns von Hoffnungsträgern, Negativzinsen, die muss doch endlich zu Ende gehen."
Von Jörn Bender und Friedrike Marx/dpa