Österreichs Exporteure haben 2015 vor allem in Europa und den Übersee-Riesenmärkten USA und China Geschäfte gemacht. Rund 80 Prozent der heimischen Ausfuhren blieben am europäischen Kontinent. Ein möglicher Ausstieg der Briten aus der EU, aufziehende Turbulenzen an den Finanzmärkten und die Entsolidarisierung der EU aufgrund der Flüchtlingskrise machen WKÖ-Präsident Christoph Leitl Sorgen.

Österreich habe im Vorjahr eine "herzeigbare" Außenhandelsbilanz geliefert, so Leitl. Vor diesen Risiken zeige sich Österreichs Außenhandel mit acht europäischen Exportländern und zwei großen Überseemärkten, USA und China, unter den Top Ten gut aufgestellt. Trotz positiver Entwicklung warnte Leitl aber vor der Volatilität einiger Schwellenländer. Indien gilt unter ihnen als eines der Stabilsten. Österreich konnte im Vorjahr Exportsteigerungsraten von über 15 Prozent nach Indien aufweisen, bei Exporten nach Mexiko lag der Zuwachs sogar bei knapp über 28 Prozent.

Risikofaktor: Naher Osten

Aber die Türkei, der drittstärkste Wachstumsmarkt im Jahr 2015, und der gesamte Nahe Osten sind im Sog des Syrienkrieges zu Risikofaktoren geworden. Politische und soziale Spannungen sowie Kriege sind Gift für eine florierende Wirtschaft. Investitionen in der Türkei würden derzeit im besten Fall stagnieren, Investoren seien auf dem Rückzug, so der Chef der Außenwirtschaft in der Wirtschaftskammer, Walter Koren. "Die Türkei als China vor unserer Haustür ist nicht mehr", formuliert es Leitl.

Eine neuerliche globale Finanzkrise ist für Leitl nicht ganz vom Tisch, obwohl der Präsident der deutschen Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Felix Hufeld, das Risiko für gering hält. "Die Situation heute ist definitiv nicht mit 2008 vergleichbar", versuchte Hufeld am Montag gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" zu beruhigen.

Leitl, der frisch aus Indien zurückgekehrt ist, erklärte, er "leide unter der Entsolidarisierung" innerhalb der Europäischen Union. Im Gegensatz zu den Schwellenländern sei Europa "satt, selbstzufrieden und pessimistisch" geworden, kritisierte er am Montag vor Journalisten in Wien. "Man redet sich ein, sich keine Sorgen machen zu müssen."

Leitl plädiert für starkes Europa

Über einen Mangel an Krisen und Herausforderungen kann Europa derzeit nicht klagen. Angesichts volatiler Schwellenländer, dem Damoklesschwert einer neuen globalen Finanzkrise und der Flüchtlingswelle plädiert Leitl für ein stärkeres Europa und für gesamteuropäische Lösungen. Im Hinblick auf das noch immer nicht ausgestandene Risiko, dass sich Großbritannien aus der EU verabschiede, betonte er. Es sei "entscheidend, dass Großbritannien eine EU-Vertiefung nicht verhindern kann".

Leitl sieht die "Ungeordnetheit der Flüchtlingsströme" als Problem. Aber "wir schaffen das, wenn wir das Richtige tun." Obergrenzen bei Flüchtlingen, wie sie Österreich gesetzt hat, sind für den Wirtschaftskammerchef "Handbremsen", die eine dringend nötige gesamteuropäische Lösung nicht außer Kraft setzen.

Um den Egoismus der EU-Mitglieder einzubremsen, sei eine europaweite Strategie gefordert. Mittlerweile sei bereits ein NATO-Einsatz im Süden Thema geworden, so Leitl. Mit der wachsenden Zahl an Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen sei zuerst Italien allein gelassen worden, und jetzt passiere dies Österreich, Deutschland und Schweden.

Perspektiven bieten

Neben der Integration der Flüchtlinge mit Asylstatus müsse mehr getan werden, "damit Menschen in ihrer Heimat Perspektiven finden". Österreich könne hier seinen Anteil mit Ausbildungsinitiativen leisten. AWO-Chef Koren betonte, dass mehr Gelder in die Hand genommen werden müssten, um dies zu erreichen. Europa müsse bei der Entwicklungszusammenarbeit seine Kräfte bündeln, sonst sei alles nur "ein Tropfen auf dem heißen Stein".

Dringend notwendig sei auch ein Freihandelsabkommen mit Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten. Ein rasches Zustandekommen solcher Absprachen könnte ebenfalls dazu beitragen, die Migrationsströme zu unterbinden, so Koren.

Zu politischen Aussagen hinsichtlich der Fortführung der SPÖ-ÖVP-Koalition Koalitionsregierung ließ sich Leitl am Montag nicht hinreißen.

(GRAFIK 0201-16, 88 x 106 mm)