Eine weitere Lockerung der Geldpolitik im Euroraum wird wohl immer wahrscheinlicher. Denn mit einer im November wieder gefallenen Kerninflationsrate dürften die Sorgen innerhalb der Europäischen Zentralbank (EZB) vor einer anhaltend zu niedrigen Preissteigerung bekräftigt werden.
Experten rechnen nun damit, dass sich die Fürsprecher innerhalb der EZB für eine lockere Geldpolitik durch die neuen Daten bestätigt sehen dürften. Am Donnerstag will die Notenbank ihren weiteren Kurs bekannt geben.
Kerninflation fällt
Wie das Statistikamt Eurostat am Mittwoch mitteilte, fiel die ohne Energie, Nahrungs- und Genussmittel errechnete Kern-Inflationsrate im November um 0,2 Punkte auf 0,9 Prozent. Bankvolkswirte hatten dagegen eine unveränderte Rate von 1,1 Prozent erwartet. Der Euro und die Renditen europäischer Staatsanleihen gaben in Reaktion auf die neuen Zahlen deutlich nach.
Die Gesamtinflationsrate, also inklusive Energie- und Nahrungsmittelpreisen, blieb im November dagegen unverändert. Die Verbraucherpreise stiegen wie im Oktober 0,1 Prozent zum Vorjahresmonat. Bankvolkswirte hatten einen Anstieg auf 0,2 Prozent erwartet. Die Gesamtinflationsrate ist schwankungsanfälliger als die Kernrate, die nach Meinung von Ökonomen den grundlegenden Preistrend besser wiedergibt.
Nach wie vor drücken die Rohölpreise die Gesamtinflation stark nach unten, allerdings nicht mehr so deutlich wie in den Vormonaten. Im November war Energie um 7,3 Prozent günstiger als ein Jahr zuvor. Industriegüter und Dienstleistungen waren zwar teurer als im Vorjahresmonat. Allerdings fielen die Zuwächse im November schwächer aus als noch im Oktober. Das drückt die Kerninflation. Nahrungs- und Genussmittel waren 1,5 Prozent teurer als ein Jahr zuvor, nach 1,6 Prozent im Oktober.
Nicht nur Ölpreis
Die fallende Kerninflation zeigt, dass die Inflationsschwäche nicht allein auf den schweren Ölpreisverfall zurückgeht. "Dies stützt unsere Erwartung, dass der preistreibende Effekt der vorangegangenen Euro-Abwertung allmählich nachlässt", kommentierte Commerzbank-Ökonom Christoph Weil. Über teurere Importe hatte der schwache Euro die Inflationsrate angehoben. Seit Mai aber sei die Inflationsrate der Importpreise schon wieder rückläufig, erklärte Weil. "Dies wird den Anstieg der Verbraucherpreise für nicht-energetische Industriegüter wieder bremsen."
Die anhaltend schwache Inflation bereitet der Europäischen Zentralbank (EZB) Sorge. Sie fürchtet, dass sie ihr Inflationsziel von knapp zwei Prozent, das sie bereits seit mehr als zwei Jahren nicht mehr erreicht hat, auch auf lange Sicht verfehlen könnte. Die "Tauben" im EZB-Rat dürften die neuen Inflationszahlen "wohlwollend zur Kenntnis nehmen", meinte Weil. Tauben sind Zentralbanker, die für eine lockere Geldpolitik eintreten.
Unter EZB-Beobachtern ist mittlerweile unstrittig, dass die Notenbank an diesem Donnerstag ihre Geldpolitik weiter lockern wird. Entsprechende Signale hatten ranghohe Notenbanker in den vergangenen Wochen ausgesendet. Große Ungewissheit herrscht aber über die konkreten Schritte. Als denkbar gilt eine Ausweitung der im März gestarteten Anleihekäufe. So könnte das monatliche Kaufvolumen von aktuell 60 Mrd. Euro erhöht werden oder das gesamte Kaufprogramm länger laufen gelassen werden. Bisher soll es im September 2016 enden. Auch eine Ausweitung der Käufe auf zusätzliche Wertpapierarten wie Kommunalanleihen gilt als möglich.
Außerdem könnte die Notenbank eine abermalige Zinssenkung beschließen. Im Fokus steht der Einlagensatz, der bereits negativ ist und damit wie eine Gebühr auf Bankguthaben bei der EZB wirkt. Diesen Satz könnte die Notenbank weiter ins Negative senken, um die Banken anzuregen, das reichliche Zentralbankgeld nicht zu bunkern, sondern als Kredite in die Wirtschaft weiterzuleiten. Einige Bankvolkswirte halten auch eine Senkung des Hauptleitzinses, der zurzeit bei 0,05 Prozent liegt, für denkbar, möglicherweise auf null Prozent