So viel Geld wie heuer haben deutsche Unternehmen seit acht Jahren nicht mehr mit Börsengängen eingesammelt. Mit dem letzten Kandidaten, dem Ingenieurdienstleister Edag, könnte mit 16 Neuemissionen die Schwelle von 7 Milliarden Euro übertroffen werden. Fast ein Wunder, so verrückt wie die Börsen vor allem im Herbst spielten.
Doch nach einem Erfolgsjahr fühlt sich 2015 für die Investmentbanker dennoch nicht an. Viele Kandidaten schafften es nur mit Mühe über die Ziellinie. Die Banker mussten sich einiges einfallen lassen, um die Emissionen zu retten.
Flexibilität heißt das Zauberwort, für die Unternehmen, ihre Eigentümer - und die Banker. Kaum eine Neuemission ging so durch wie sie geplant war. Bei so starken Kursschwankungen wie im September hätte es nach dem Lehrbuch gar keine Emissionen geben dürfen. Und doch schafften Dickschiffe wie die Bayer-Tochter Covestro, der Autozulieferer Schaeffler und die Reederei Hapag-Lloyd den Sprung aufs Parkett.
"Banken stellen Lage zu positiv dar"
"Banker, Unternehmen und ihre Eigentümer haben ihre Enttäuschung über niedrige Bewertungen überwunden und teils große Zugeständnisse gemacht", sagt Gernot Wagner, der als Anwalt für die Kanzlei White & Case Emissionen begleitet. "Sonst hätte manch ein Börsengang nicht stattfinden können."
Hapag-Lloyd verkaufte seine Aktien für die Hälfte dessen, was Banker vorher für realistisch hielten. "Viele Banken stellen die Lage zu positiv dar, um den Auftrag zu bekommen", kritisiert ein Insider. Wie schon beim Kabelanbieter Tele Columbus kauften einige Altaktionäre beim Börsengang sogar zu, um die Emission zu unterstützen.
Wie mühsam das Emissionsjahr war, zeigt der Vergleich der Börsenpläne mit den tatsächlichen Erlösen: Hätten sich alle Blütenträume erfüllt, hätte es mehr als 20 Börsenneulinge in Deutschland gegeben - mit einem Emissionsvolumen von annähernd 13 Milliarden Euro. 2007, im Boom vor der Finanzkrise, sei es bei 7,85 Milliarden Euro gelegen.
"Aufsicht sieht heute einiges lockerer"
Die Investmentbanker nutzten die ganze Klaviatur: den Preis senken, die Zeichnungsfrist verlängern, das Volumen verkleinern. Für Aufsehen in der Branche sorgte ein Kniff, der letztlich gar nicht nötig gewesen wäre. Die Kleinanzeigenbörse Scout24 hätte es wohl auch so geschafft. Die Banker waren trotzdem kreativ: Sie erfanden eine "Aufstockungsoption", mit der sich das Volumen abhängig von der Nachfrage kurzfristig von 800 Millionen auf 1,6 Milliarden Euro verdoppeln ließ. Mehr noch: Im Prospekt versteckt behielt sich Scout24 eine Senkung oder sogar eine Erhöhung der Preisspanne vor - einfach so, ohne den üblichen Nachtrag zum Prospekt.
Die Rechtsberater waren skeptisch - auch wenn das Vorgehen in den USA gang und gäbe ist. "Die Anwälte hatten uns gesagt, das habe es in Deutschland noch nie gegeben" berichtet Christoph Heuer, der den Börsengang für Goldman Sachs mitorganisierte. Die Banker probierten es einfach, und die Börsenaufseher winkten den Prospekt durch. "Auch die Aufsicht sieht heute einiges lockerer als früher", sagt Anwalt Wagner. "Wird das Schule machen? Ich glaube schon", sagt Heuer - aber nicht für jede Emission.
Schaefflers unkonventioneller Börsengang
Ob sich die Emittenten auf noch ausgefallenere Spielarten einlassen? Die Preisspanne erst während der Zeichnungsfrist festzusetzen - im Fachjargon "Decoupling" - wäre eine Chance, um die Zeit vom Start bis zur Erstnotiz zu verkürzen. Die vier Wochen sind ein Problem, wenn das Auf und Ab an den Märkten groß ist. Das sei auch in zwei oder drei Wochen machbar, meint Jörg Dimeg, der das Kapitalmarktgeschäft der Investmentbank Lazard in Deutschland leitet. Goldman-Sachs-Banker Heuer zweifelt: "Mit einem Prospekt ohne Preisspanne macht man das Unternehmen zum Spielball kurzfristig orientierter Investoren." Banker fühlten heute ohnehin deutlich früher bei wichtigen Anlegern vor. "Die Ansprache von Ankerinvestoren schon vor der Ankündigung des Börsengangs sorgt früh für Nachfrage im Orderbuch", sagt Dimeg.
Den unkonventionellsten Börsengang legte der Wälzlager-Hersteller Schaeffler hin. Vorstandschef Klaus Rosenfeld hatte die Aktion zur geheimen Kommandosache erklärt - aus Furcht vor Informationslecks, wie Banker berichten. Die Aktien waren nur für wenige Tage zu zeichnen, die Investoren bekamen nicht einmal Analystenstudien zu sehen, Privatanleger waren ausgeschlossen. In zwei Wochen war alles vorbei - ohne den VW-Skandal wäre es noch schneller gegangen.
"Das kann man nur machen, wenn man so bekannt ist wie Schaeffler", sagt ein Banker. "Schaeffler hat mit der Taktik aber viel Geld liegen gelassen", gibt ein anderer Experte zu bedenken. Der Preis für die Vorzugsaktien sei im Branchenvergleich sehr niedrig gewesen.