Eine Viertelmillion Menschen hat nach Angaben der Organisatoren in Berlin gegen die umstrittenen EU-Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada demonstriert. "Nie zuvor sind in Europa mehr Menschen zu diesem Thema auf die Straße gegangen", teilte das Veranstalterbündnis der Demo unter dem Motto "TTIP und Ceta stoppen!" am Samstag mit. Die Polizei sprach hingegen von etwa 150.000 Demonstranten.
Bei Sonnenschein und blauem Himmel versammelten sich mehrere zehntausend Demonstranten bereits am frühen Vormittag vor dem Berliner Hauptbahnhof. Die TTIP-Gegner waren unter anderem mit fünf Sonderzügen sowie mehr als 600 Bussen angereist. Die Banner, Fahnen und Plakate auf dem Demonstrationszug spiegelten die Vielfalt der teilnehmenden Verbände wieder: Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen, Globalisierungskritiker sowie Anhänger der Grünen und der Linken unterstützten die Proteste.
Die Organisatoren hatten im Vorfeld mit 50.000 bis 100.000 Teilnehmern gerechnet. Die Polizei sei mit rund 1.000 Beamten im Einsatz, sagte Berlins Polizeisprecher Stefan Redlich. Die Demonstration bezeichnete er als "störungsfrei".
Demos in Holland
Mehrere Tausend Menschen demonstrierten auch in Amsterdam gegen TTIP. Auch hier hatten Gewerkschaften, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen zu einem Protestmarsch durch die Innenstadt der niederländischen Hauptstadt aufgerufen. Die TTIP-Gegner warnten vor zu viel Macht für multinationale Unternehmen und einer Lockerung der Regeln für die Sicherheit von Nahrungsmitteln. "Der Widerstand nimmt immer mehr zu", sagte der Sprecher der Organisatoren, Jurjen van den Bergh im niederländischen Radio. Mehr als 7.000 TTIP-Gegner hatten die Organisatoren gezählt.
"Wir sind hier weil wir die Zukunft nicht den Märkten überlassen, sondern die Demokratie retten wollen", sagte Michael Müller, Bundesvorsitzender der Naturfreunde Deutschlands, in seiner Ansprache in Berlin. Zu den weiteren Rednern gehörten der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, die SPD-Politikerin Gesine Schwan, der Grünen-Vorsitzende Anton Hofreiter sowie Linken-Chef Bernd Riexinger.
Die Demonstranten wurden unter anderem von 20 Protestwagen begleitet. Trommlergruppen und andere Musiker säumten die Straßen. Immer wieder erschallte der Ruf "Stopp TTIP!" aus der Menge, die sich in ihrer Ablehnung gegenüber den Freihandelsabkommen durchaus uneinig ist. Der DGB lehnt das TTIP-Abkommen zwischen EU und USA sowie den Ceta-Vertrag zwischen der EU und Kanada in seiner derzeit geplanten Form ab. Globalisierungskritiker wie Attac plädieren hingegen für ein gänzlich anderes Wirtschaftssystem.
Die Kritiker der Abkommen befürchten unter anderem sinkende Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards sowie eine Schwächung demokratischer Institutionen. Zu den umstrittensten Aspekten gehört die Einrichtung sogenannter Investor-Staats-Schiedsgerichte sowie die Geheimhaltung der Verhandlungen, von denen auch Europa- und Bundestagsabgeordnete weitestgehend ausgeschlossen sind. "Schluss mit der Geheimdiplomatie", forderte deshalb DGB-Chef Hoffmann auf der Abschlusskundgebung.
Die Fürsprecher von TTIP und Ceta warben ebenfalls für ihre Position. Im Rahmen einer vom Bund der Deutschen Industrie (BDI) finanzierten Kampagne fuhren Lastwagen und ein Schiff mit Plakaten durch die Straßen Berlins und über die Spree. "Wir Europäer müssen die Globalisierung gestalten wollen", sagte BDI-Präsident Ulrich Grillo. "Wer nur blockiert, verliert." Ein faires und umfassendes Freihandelsabkommen fördere Wachstum und Beschäftigung in Europa. Auch der SPD-Vorsitzende, Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel sprach sich in einem am Samstag in mehreren Zeitungsanzeigen veröffentlichten offenen Brief für die Abkommen aus.
Ob das Abkommen zwischen den beiden größten und wichtigsten Wirtschaftsräumen der Welt mit 800 Millionen Verbrauchern am Ende zustande kommt, ist ungewiss. "Es fehlt das Momentum", sagte kürzlich ein Mitarbeiter von Gabriel. Es gehe nicht richtig voran. Dabei verhandeln die EU und die USA seit 2013 über das Projekt, von dem sich beide Seiten große Impulse für ihr jeweiliges Wachstum und Tausende neuer Jobs versprechen. Geschafft sei aber nach inzwischen zehn Verhandlungsrunden gerade einmal etwa die Hälfte des Weges, sagte ein Insider.