Die Europäische Zentralbank (EZB) darf zur Euro-Rettung grundsätzlich Staatsanleihen kaufen. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag in Luxemburg entschieden (Rechtssache C-62/14). Ein entsprechendes Programm der Notenbank aus dem Jahr 2012 sei rechtmäßig, urteilten die Richter.
"Das Programm überschreitet nicht die währungspolitischen Befugnisse der EZB und verstößt nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten", teilte der Gerichtshof mit.
Konkret ging es um den EZB-Beschluss von 2012, notfalls unbegrenzt Anleihen von Euro-Krisenstaaten zu kaufen, um diese zahlungsfähig zu halten. In der Praxis hat die EZB dieses Kaufprogramm mit dem Namen "Outright Monetary Transactions" (OMT) allerdings nie genutzt. Allein die Ankündigung beruhigte die Märkte.
Der Gerichtshof stellte zudem fest, dass das OMT-Programm auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Die Richter gaben der EZB allerdings vor, die von ihr selbst gesetzten Regeln auch einzuhalten: Die Notenbank müsse - falls sie das OMT-Programm jemals nutze - eine Mindestfrist einhalten und dürfe ihre Entscheidung zum Ankauf oder das Volumen nicht vorher ankündigen.
Details zu dem Prozess
Im Kern geht es um das historische Versprechen von EZB-Präsident Mario Draghi aus dem Sommer 2012. Damals stand die Eurozone vor der Zerreißprobe und der Italiener erklärte: "Die EZB ist bereit, im Rahmen ihres Mandats alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten."
Wenig später beschloss die EZB, unter bestimmten Bedingungen notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Euro-Krisenstaaten zu kaufen. Dieses Kaufprogramm mit dem Namen "Outright Monetary Transactions" (OMT) ist Gegenstand des Verfahrens vor dem EuGH.
Nie verwendet
Allein die Ankündigung des OMT-Programms reichte, um die Märkte zu beruhigen. Das räumen sogar Kritiker ein. Gebrauch machen musste die EZB von dem Programm nie. Kritiker werfen der Notenbank jedoch vor, sie habe mit dem Beschluss zum theoretisch unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen ihre Kompetenzen überschritten.
Die EZB habe sich "massiv in die Wirtschaftspolitik eingemischt, für die sie keine Kompetenz hat", urteilt der Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek. "Sie hat gezielt die Finanzierungsbedingungen der Krisenstaaten erleichtert, indem sie - ökonomisch betrachtet - den Gläubigern dieser Staaten eine kostenlose Kreditausfallversicherung angeboten hat."
Verbot der Staatsfinanzierung
Kritiker meinen, die EZB finanziere so letztlich Staatsschulden mit der Notenpresse. Das mache die Notenbank abhängig von den jeweiligen Staaten und das gefährde ihre Unabhängigkeit gegenüber den Regierungen. Zudem lähme es die Reformbereitschaft, wenn sich Staaten darauf verließen, dass es notfalls die EZB richten werde.
Deutschland sieht Vertragsverletzung
Das höchste deutsche Gericht kam im Februar 2014 zu dem Schluss, die EZB habe mit dem OMT-Beschluss ihre Kompetenzen überschritten, da sie laut EU-Vertrag keine eigenständige Wirtschaftspolitik betreiben dürfe. Zudem verstoße der OMT-Beschluss gegen das Verbot der Mitfinanzierung von Staatshaushalten. Karlsruhe gab das Thema zur Klärung an den EuGH.
EU-Gutachter für EZB
In seiner Empfehlung aus dem Jänner bezieht der Gutachter eine andere Position als das Bundesverfassungsgericht. Er hält Anleihekäufe von Krisenstaaten durch die EZB für rechtmäßig. Die Notenbank müsse - falls sie das Programm jemals nutze - ihre Schritte erklären, begründen und sich aus dem Reformprogramm des jeweiligen Staates heraushalten.
EU-Richter eher großzügig
Die Luxemburger Richter sind nicht an die Erwägungen des Gutachters gebunden. Sie stehen allerdings in dem Ruf, eher großzügig zu sein, wenn es um Kompetenzen von EU-Institutionen geht. Bisher hatten sie keine Einwände gegen Rettungsbemühungen in der Euro-Schuldenkrise. So billigte der EuGH Ende 2012 den europäischen Rettungsschirm ESM.
Auf Basis des nun vorliegenden EuGH-Urteils fällt das Bundesverfassungsgericht seine abschließende Entscheidung: Die Karlsruher Richter hatten im Februar 2014 erklärt, ob der OMT-Beschluss der EZB mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sei, könne letztlich erst geklärt werden, wenn der EuGH die vorgelegten Fragen beantwortet habe.
Auswirkung auf laufendes Programm
Die Luxemburger Richter haben nicht über das gewaltige Kaufprogramm ("Quantitative Lockerung" oder englisch "Quantitative Easing/QE") entschieden, das seit dem 9. März 2015 läuft und das die Konjunktur anschieben soll. Doch das EuGH-Urteil für das nie genutzte OMT-Programm von 2012 gibt der EZB auch für das aktuelle Programm Rückenwind.
Und selbst wenn das Bundesverfassungsgericht das OMT abschließend anders beurteilen würde, meint Commerzbank-Ökonom Michael Schubert: "In jedem Fall wären verfassungsrechtliche Bedenken gegen das OMT wohl nicht auf das aktuelle QE-Anleihenkaufprogramm übertragbar."
Beim QE-Programm investiert die EZB monatlich 60 Mrd. Euro vor allem in Staatsanleihen und das bis Ende September 2016. Wichtiger Unterschied zum OMT-Programm: Das Geld fließt nicht nur in Papiere von Krisenstaaten, sondern in Anleihen aus dem gesamten Euroraum. Das frische Zentralbankgeld soll idealerweise über Geschäftsbanken als Kredit bei Unternehmen und Verbrauchern ankommen. Das könnte Investitionen und Konsum anschieben und soll so auch die Inflation anheizen. Auch an dem QE-Programm gibt es viel Kritik: So planen Medienberichten zufolge die drei Unternehmer Heinrich Weiss, Patrick Adenauer und Jürgen Heraeus eine Verfassungsbeschwerde.