Die Handelsminister der EU (Österreich war durch Vizekanzler und Wirtschaftsminister Mitterlehner vertreten) legten sich heute auf die weitere Linie der EU-Staaten in Sachen TTIP-Freihandelsabkommen mit den USA fest. Dabei wurde beschlossen, zügig weiterzuverhandeln, da dieses Thema für Europas Wirtschaft Priorität habe. Um einen konstruktiven Dialog mit der kritischen Öffentlichkeit zu führen, sollen die Verhandlungsdokumente öffentlich zugänglich gemacht werden, heißt es in den "Schlussfolgerungen", die nach dem Treffen verlautbart wurden.

Die nächste Verhandlungsrunde zum heftig umstrittenen EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP wird im Februar 2015 stattfinden, erklärte die neue Handelskommissarin Cecilia Malmström.

Beim EU-Handelsrat wurde vor allem mehr Transparenz beim Freihandelsabkommen TTIP mit den USA verlangt, erklärte Vizekanzler Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) in Brüssel. Es gelte, auch die Bevölkerung von den Vorteilen eines solchen Handelsabkommens zu überzeugen.

Zum umstrittenen Thema des Investitionsschutzes sagte Mitterlehner, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass große Institutionen und Firmen im Rechtsverlauf bessergestellt werden als normale Bürger. "Diese Frage ist noch zu klären, dass es da keine Unterschiede gibt."

Streitbeilegung brauche immer einen gewissen Mechanismus. Es sei aber auch eine Frage der "Qualität, wie dieser ausgestaltet" werde. "Und darum wird bei den Verhandlungen zu ringen sein", sagt Mitterlehner.

Die Grünen kritisieren freilich, dass die Handelsminister in ihrem offiziellen Statement nach dem Treffen nichts zum Investorenschutz sagen. Bisher galt die einschränkende Formel als vereinbart, dass die EU-Kommission bis Jahresende ein Konsultationsergebnis zum umstrittenen Investorenschutz (ISDS) liefern muss. Erst danach werde mit den USA weiterverhandelt.

Experte: "Einige Gewinner, aber auch viele Verlierer"

In Österreich sorgt das geplante Abkommen für neue Debatten. Denn der Wifo-Ökonom und emeritierte WU-Professor Fritz Breuss verweist auf Studienergebnisse, wonach es durch TTIP einige Gewinner, aber auch viele Verlierer geben werde. Während je nach Thema einmal die USA, ein andermal die EU Gewinner ist, "dürfte es zu starken (und politisch brisanten) Verlusten an Handel und Wohlfahrt in Drittstaaten kommen". Das schreibt Breuss in  einem aktuellen "Policy Brief" für den gemeinsamen Forschungsschwerpunkt Internationale Wirtschaft (FIW).

Studien, die im Auftrag der Europäischen Kommission (ECORYS, CEPR) erarbeitet wurden, weisen höhere Effekte für die EU als für die USA aus. Unabhängige Studien (CEPII und ECIPE) kommen eher zum Ergebnis, dass die USA mehr gewinnt als die EU bzw. die Gewinne gleich hoch sind, analysiert Breuss.

Es komme außerdem zu massiven Handelsumlenkungen: "Praktisch alle nicht an TTIP beteiligten Drittstaaten verlieren massiv". Es würde auch der bilaterale Handel zwischen den EU-Mitgliedstaaten innerhalb der EU und der Eurozone schrumpfen. Die USA würden mit TTIP ihren Handel am stärksten mit China und Russland verringern. Es bleibe daher abzuwarten, "ob ein solches Ergebnis noch GATT- bzw. WTO-konform ist", so Breuss. China und Russland könnten Protest einlegen, worüber ein Streitschlichtungsverfahren bei der WTO entscheiden
müsste.

"TTIP ist nicht die erhoffte Wunderwaffe"

Die erhoffte "Wunderwaffe" gegen die anhaltende Krise sei TTIP nicht, da die erwarteten Wohlfahrtsgewinne erst langfristig eintreten würden. Für Österreich wird laut Breuss eine langfristig realisierbare BIP-Zunahme von 1,7 Prozent bis 2,9 Prozent geschätzt.

In Bezug auf die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze komme es bei den Studien meist zu keinen nennenswerten Zuwächsen, aber zu beträchtlichen sektoralen Verschiebungen und auch der starke Handelsumlenkungseffekt komme zum Tragen. Während in der EU und den USA die Arbeitsplätze mehr werden, verlieren wiederum die
Drittländer.

Dass es seit Beginn der Verhandlungen zu TTIP Proteste gibt, während die Öffentlichkeit etwa das Abkommen zwischen der EU und Südkorea nicht interessiere, erklärt Breuss mit dem durch die NSA-Spionageaffäre angeschlagenen Vertrauen zu den USA. Das bisher "ehrgeizigste und umfassendste" EU-Freihandelsabkommen mit Südkorea ist am 1. Juli 2011 in Kraft getreten. Das Abkommen mit Kanada (CETA) sei im selben "Geist" und CETA wiederum Vorbild für TTIP. In Bezug auf die umstrittenen Regelungen zum Investorenschutz (ISDS) sei "angesichts des Umfangs der TTIP auch die Installation eines eigenen TTIP-Streitbeilegungsverfahrens mit eigener Gerichtsbarkeit" vorstellbar.

Wirtschaftskammer und Industrie verteidigen TTIP

Verteidigt wird das Abkommen von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung. Die Kritik am Handelsabkommen, wonach damit geltende Standards ausgehebelt werden, sei nicht gerechtfertigt. "Die positiven wirtschaftlichen Effekte sprechen ganz eindeutig für das Abkommen - besonders in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit und stagnierender Konjunktur", betonte IV-Generalsekretär Christoph Neumayer. Europäische Standards stünden nicht zur Diskussion.

Beim Freihandelsabkommen gehe es in erster Linie um notwendige Verbesserungen beim Austausch von Waren, Dienstleistungen und Investitionen mit dem wirtschafts-, handelspolitisch und auch strategisch wichtigsten Handelspartner der EU. "All das liegt mindestens so sehr im Interesse Europas wie in dem der USA", so Ralf Kronberger, in der WKÖ für Außenhandelsfragen zuständig. Sowohl Großkonzerne als auch KMU würden davon profitieren, auch zahlreiche österreichische Zulieferer. Geltende Standards bei Sicherheit, Umwelt, Konsumentenschutz und im Sozialbereich werden laut Kronberger nicht ausgehebelt. Einerseits gebe es auch in den USA in vielen Bereichen sehr hohe Schutzstandards, andererseits sei eine gegenseitige Anerkennung oder Harmonisierung nicht beabsichtigt. 

Laut IV könnten in Österreich durch TTIP bis zu 20.000 Arbeitsplätze geschaffen werden. "Das wäre das beste und billigste Konjunkturbelebungsprogramm und damit eine enorme Chance für den heimischen Arbeitsmarkt", betont Neumayer, der dazu aufruft, die Debatte "sachlich und faktenbezogen" zu führen. Das Freihandelsabkommen sei eine "historischen Chance".

"Abbruch der Verhandlungen unvermeidlich"

Michel Reimon, EU-Abgeordneter der Grünen, hält dagegen eine Abbruch der Verhandlungen für unvermeidlich. Die Eckpunkte des Verhandlungsmandats könnten nicht repariert werden. Das gelte für den Investitionsschutz ebenso wie für die sogenannte regulatorische Kooperation, so Reimon in einer Pressemitteilung.