Von der Weltmarke zum Sanierungsfall – die rasante Talfahrt des Motorradspezialisten KTM sorgt weit über die Grenzen von Österreich hinaus für Aufsehen. Zwar haben sich in den vergangenen Monaten in immer kürzeren Intervallen die schlechten Nachrichten gehäuft, dass KTM tatsächlich in die Insolvenz schlittern würde, wurde noch vor Kurzem dennoch für unmöglich gehalten. Wie berichtet, wird am morgigen Freitag ein sogenanntes Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung beantragt (Geschäftsführung bleibt mit einem Insolvenzverwalter an Bord, Mindestquote für Gläubiger liegt bei 30 Prozent). Kernaktionär Stefan Pierer hatte angekündigt, um sein „Lebenswerk KTM“ zu kämpfen. Binnen 90 Tagen, so die Hoffnung, werde ein Sanierungsplan vorliegen, eine Redimensionierung soll KTM zurück in die Spur bringen.

Doch vorerst bangen rund 3500 Beschäftigte der drei betroffenen Gesellschaften um ihre berufliche Zukunft. Die Pierer Mobility AG hat heuer bereits 700 Stellen bei KTM gestrichen, 300 weitere folgen – doch auch hier birgt die nächste Zeit noch Gefahren. KTM bezahlt weder die Löhne und Gehälter für November noch das Weihnachtsgeld, hier wird der Insolvenzentgeltfonds einspringen, das dürfte aber Monate dauern. Die Dezember-Löhne sollen diesmal bereits früher, Anfang nächster Woche, ausbezahlt werden und das wieder von KTM selbst. Dazu ist man, sobald das Sanierungsverfahren eröffnet wird, rechtlich wieder befugt. Ab Montag, so die Arbeiterkammer, werden die Beschäftigten in Betriebsversammlungen im Detail informiert. Im Jänner und Februar kommt es zu einem Produktionsstopp, damit geht eine auf 30-Wochenstunden verringerte Arbeitszeit einher. Ab März wird dann weiterproduziert, aber nur im Ein-Schicht-Betrieb.

Pierer erntet auch Kritik

Der Umstand, dass der Insolvenzentgeltfonds einspringen muss, führt auch zu Kritik an Stefan Pierer, etwa seitens der Gewerkschaft GPA. Sie verweist darauf, dass sich dieser Fonds auch durch die, von Pierer ebenfalls häufig stark kritisierten, Lohnnebenkosten finanziere. Auch der Umstand, dass Pierer einst im Wahlkampf für die ÖVP von Sebastian Kurz gespendet hat oder das KTM-Erlebniswelt-Museum einst unter dem Titel „Kulturförderung“ vom Land Oberösterreich stark gefördert wurde, wird von Kritikern nun wieder auf Tapet gebracht.

Rekordjahr um Rekordjahr . . .

Standortpolitisch wird der Fall KTM auch als Weckruf gewertet. Die Abstände, in denen Schreckensmeldungen aus der österreichischen Industrie dröhnen, werden immer kürzer. Insolvenzen, Jobabbau, Verlagerungen, Standortschließungen, wie nun bei Schaeffler in Berndorf – die Lage spitzt sich zu. Der Ökonom Christoph Badelt, er ist auch Präsident des Produktivitätsrats, schlägt Alarm: „Österreich steht am Scheideweg. Steigende Arbeits- und Energiekosten belasten die Wettbewerbsfähigkeit der Exporteure.“ Warnungen, die freilich auch – und das seit Jahren – zum Standardrepertoire von Stefan Pierer gehören. Er tritt seit jeher als wortgewaltiger Industrievertreter und „Tausendsassa“ (u. a. Industrie-Präsident, Multi-Unternehmer, Investor, Uniratsvorsitzender) in Erscheinung und polarisiert in manchen Kreisen entsprechend. „Ich bin ein Mahner, Anstoßer für das, was sich ändern sollte.“ Lange Zeit wird das nicht geglaubt“, sagte er vor einem Jahr zur Kleinen Zeitung. Krisen, auch das merkte er immer wieder an, seien aber auch Chancen.

Inwieweit die Restrukturierung bei KTM zur Chance wird, muss sich zeigen. Vorerst wirft sie Fragen auf. Dass die Industrierezession, massiv gestiegene Standortkosten, Konsumflaute und Nachfrageeinbruch Schlüsselfaktoren für die Lage sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Doch Pierer Mobility hat umgekehrt – auch noch 2023 – Rekordjahr um Rekordjahr vermeldet. Wie kann der Weg vom Rekord zu Restrukturierung so rasend schnell erfolgen? Pierer agiert auch nach dem Prinzip, „wenn‘s richtig schwierig, wenn‘s zugig wird, dann lassen sich Marktanteile gewinnen“, wie er im Interview einmal betonte. Das setzt Risikobereitschaft voraus. Die letzten Jahre waren von Zukäufen und hohen Investitionen geprägt. Die Produktionsvolumina wurden ausgeweitet, die Lagerbestände auf ein Volumen von fast einer Milliarde Euro verdreifacht. Die Lager füllten sich, die Nachfragebücher leerten sich. Die Überkapazitäten und hohen Finanzierungskosten wiegen schwer. Zu schwer, wie sich nun zeigte.