Es ist fast genau ein Jahr her, als KTM Anfang Dezember 2023 erstmals eine bis dato ungewohnte Maßnahme kommunizieren musste: Die Muttergesellschaft Pierer Mobility AG kündigte den Abbau von 300 Stellen an, vorwiegend am KTM-Hauptsitz in Mattighofen. Ungewohnt war die Nachricht deshalb, weil die Pierer Mobility bei Umsatz und Absatz das 13. Rekordjahr in Folge vermeldete – der Personalstand bei KTM hatte sich in den Jahren davor fast verdreifacht. „Der Personalabbau ist auch eine Folge der Kostensituation in Europa und Österreich“, sagte KTM-Lenker Stefan Pierer damals zur Kleinen Zeitung. Dass diese Einschnitte erst die Ouvertüre für eine rasante Talfahrt sein würden und KTM ein Jahr später zum Sanierungsfall werden würde, war da noch nicht absehbar.
In den vergangenen Wochen und Monaten hatte sich die Lage jedoch sukzessive zugespitzt, zuletzt wurde ein akuter Finanzierungsbedarf in dreistelliger Millionenhöhe eingeräumt, für Jänner und Februar wurde ein Produktionsstopp in Mattighofen ausgerufen. Heuer sind bereits 700 Stellen abgebaut worden, fast 5000 Beschäftigte zählt KTM in Österreich derzeit noch. Nun steht die KTM AG vor der Insolvenz, es ist nicht gelungen, „die nötige Zwischenfinanzierung zeitgerecht sicherzustellen“, wird betont.
Am Freitag, so gab es Pierer Mobility am Dienstag bekannt, werde man ein Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung (also unter Ägide der bestehenden Geschäftsführung von Stefan Pierer und Co-Chef Gottfried Neumeister) anmelden. Die Verfahren, so das Management, würden die Möglichkeit geben, „weiterhin das Vermögen unter Aufsicht zu verwalten und die KTM-Gruppe eigenständig zu sanieren“. Konkret gilt das für die KTM AG selbst sowie ihre Tochtergesellschaften KTM Components GmbH und KTM die F&E GmbH – mit in Summe 3400 Beschäftigten. Sonstige KTM-Tochterfirmen, insbesondere die Vertriebsgesellschaften, seien davon nicht betroffen, wird betont.
Fall für Insolvenz-Entgelt-Fonds
Laut Arbeiterkammer können Löhne und Gehälter für November sowie das Weihnachtsgeld nicht bezahlt werden. Sie werden wohl ein Fall für den Insolvenz-Entgelt-Fonds (IEF), was aber auch bedeutet, dass das Geld an die Betroffenen erst mit einiger Verzögerung fließen wird. Die Dezember-Löhne und -Gehälter will KTM nach eigenen Angaben dann wieder selbst ausbezahlen – und das früher als sonst, nämlich ab kommender Woche, wie ein Sprecher im Ö1-Radio bestätigt. Die Betriebsversammlungen für die Beschäftigten sollen laut der Arbeiterkammer Oberösterreich am kommenden Montag beginnen. „Dort werden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umfassend von unseren AK-Expertinnen und Experten über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt“, so . Die Vertretung für die Betroffenen ist kostenlos“, so Oberösterreichs AK-Präsident Andreas Stangl. „Die Dienstverträge bleiben noch aufrecht, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen weiterhin ihre Arbeitspflichten erfüllen.“ Stangl: „Wir werden alles daransetzen, dass die Beschäftigten so rasch wie möglich zu ihrem Geld kommen.“
Die Gewerkschaften PRO-GE und GPA empfehlen den Beschäftigten, „ihre Entgeltansprüche nicht leichtfertig in den Wind zu schreiben, der Insolvenzentgeltfonds, der auch durch die viel kritisierten Lohnnebenkosten finanziert wird, springt in diesem Fall ein. Darum appellieren wir an die betroffenen Beschäftigten, sich von den Gewerkschaften und Arbeiterkammer beraten zu lassen und nicht überstürzt das Arbeitsverhältnis aufzulösen“, wird betont.
Ab Jänner sollen die Löhne und Gehälter ganz normal ausbezahlt, weil man dazu – ab nächsten Montag, nach dem erfolgten Sanierungsantrag –, rechtlich wieder dazu befugt ist. Allerdings wurde am Dienstag ein Produktionsstopp für das neue Jahr angekündigt, was eine Arbeitszeitreduktion auf 30 Stunden bedeute und ab März werde von Zwei- auf Ein-Schicht-Betrieb heruntergefahren. Zudem werden – wie bereits angekündigt – bis zu 300 Stellen abgebaut.
Aktienkurs weiter auf Talfahrt
Die Aktien der KTM-Mutter Pierer Mobility haben am Mittwochvormittag ihre Talfahrt an der Wiener Börse fortgesetzt. Die Papiere fielen im Frühhandel um weitere 15 Prozent auf 8,26 Euro nach unten, im Handelsverlauf wurden die Verluste etwas eingegrenzt und lagen knapp vor 13 Uhr bei minus 6,2 Prozent. Bereits am Dienstag waren die Titel um 29 Prozent eingebrochen.
Wie geht‘s nun weiter?
Nach dem Antrag auf das Sanierungsverfahren, der am Freitag eingebracht wird, soll binnen 90 Tagen, so das Ziel, soll mit den Gläubigern ein Sanierungsplan vereinbart werden. Die Konjunktur- und Absatzkrise sowie die stark gestiegenen Standortkosten treffen bei KTM mit voller Wucht auf – die freilich selbst verursachten – Überkapazitäten, volle Lager und eine hohe Schuldenlast. Durch eine Redimensionierung soll der Bestand der KTM-Gruppe nachhaltig gesichert und die Basis geschaffen werden, „gestärkt aus dem Verfahren zu kommen“. Stefan Pierer selbst, der auch Präsident der Industriellenvereinigung in Oberösterreich ist, lässt wissen: „Die Marke KTM ist mein Lebenswerk und dafür kämpfe ich.“ Pierer hatte KTM 1992 nach einem Bankrott übernommen. „Wir sind in den letzten drei Jahrzehnten zu Europas größtem Motorradhersteller gewachsen“, so der gebürtige Steirer. „Die Kernaktionäre stehen zu KTM sowie zur Pierer Mobility und ihrem Börselisting. KTM soll gestärkt aus dieser schwierigen Zeit hervorgehen.“
Weiterer Personalabbau?
Wie die Maßnahmen nun genau aussehen werden, wurde noch nicht im Detail klargelegt. Ein weiterer Personalabbau im Bereich der Angestellten sei jedoch „sehr wahrscheinlich“, sagt Konzernsprecher Hans Lang zur Kleinen Zeitung, quantifizieren lasse sich das aber noch nicht. 2025 und 2026 werde die Betriebsleistung daher um etwa eine Milliarde Euro sinken. Durch „notwendige Abwertungen“ im Zuge der Restrukturierung ergebe sich ein „zusätzliches Verlustpotenzial“. Auch für 2024 werde bereits „ein negatives Jahresergebnis im sehr hohen dreistelligen Millionenbereich“ erwartet.