Mehr Anstrengungen für eine engere Verzahnung der noch stark fragmentierten Kapitalmärkte in Europa fordert EZB-Präsidentin Christine Lagarde. In der EU wird seit vielen Jahren über eine Kapitalmarktunion (CMU) geredet, der allerdings immer noch sehr unterschiedliche nationale Gesetze entgegenstehen. „Sie ist von entscheidender Bedeutung, um unsere Wirtschaft dynamischer und technologisch fortschrittlicher zu machen“, sagte Lagarde am Freitag in Frankfurt beim European Banking Congress.
Das geopolitische Umfeld sei ungünstiger geworden. Die Bedrohung des Freihandels aus allen Teilen der Welt nehme zu. Als offenste der großen Volkswirtschaften sei die EU diesen Trends stärker ausgesetzt als andere. „Die CMU steht im Mittelpunkt all dieser Herausforderungen.“ Es sei inzwischen dringlicher geworden, die Kapitalmärkte zu integrieren.
Strafzölle wirken sich auf Börsen-Deals aus
„Obgleich Banken eine wesentliche Rolle in der europäischen Wirtschaft spielen, wissen wir, dass integrierte Kapitalmärkte für die Finanzierung bahnbrechender Innovationen im Frühstadium erforderlich sind“, so Lagarde. Seit vergangenem Jahr sei die abnehmende Bedeutung Europas bei Innovationen deutlicher zutage getreten. „Die technologische Kluft zwischen den USA und Europa ist mittlerweile unverkennbar,“ sagte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank.
Verschärft werden dürfte diese durch die vom designierten US-Präsidenten Donald Trump angekündigten Zölle von bis zu 20 Prozent auf Importe aus anderen Ländern (für China: 60 Prozent). Lagarde wies darauf hin, dass bei den EU-Haushalten, anders als in den USA, ein Großteil der Investments nicht in Richtung Unternehmensfinanzierung fließt. Möglich sei eine Umschichtung von bis zu acht Billionen Euro in Richtung langfristiger börsenbasierter Investments, rechnete Lagarde vor. Kapital in Europa sei zudem immer noch in nationalen Grenzen gefangen oder fließe in Richtung USA. Und Profi-Investoren legten viel mehr in den USA an als in der EU.
Langer Weg: CMU nicht in Sicht
Der schrittweise Ansatz zur Schaffung eines einheitlichen Kapitalmarkts, der sich auf die Harmonisierung einer Vielzahl nationaler Gesetze konzentriere, geht Lagarde zufolge schlichtweg zu langsam voran. Eine Möglichkeit Fortschritte zu erzielen wäre, so Lagarde, zusätzlich zu den 27 nationalen Regelwerken ein EU-weites Regulierungssystem zu schaffen. Wertpapieremittenten, die bestimmte Kriterien erfüllen, würden dann automatisch in die Zuständigkeit der EU fallen. Das würde etwa dem Vorgehen bei der Wettbewerbskontrolle oder bei der Bankenaufsicht entsprechen.