Der Konjunkturhimmel über Deutschland und Österreich zeigt sich seit zwei Jahren düster. Doch es gibt auch ökonomische Lichtblicke: Die Weltwirtschaft wächst 2024 und 2025 real um drei Prozent, so der Chefökonom der Industriellenvereinigung, Christian Helmenstein. Das Problem daran: „Wir partizipieren nicht an diesem Wachstum.“ 2025 werde in 72 Tigerstaaten weltweit das Wachstum mehr als vier Prozent betragen.
Für Österreich sind jedoch maximal ein Prozent Wachstum prognostiziert, nach zwei Jahren Rezession; für die Industrie werden es dann bereits drei sein. Denn Österreich habe sich in drei Kategorien „hinausgepreist“: Bei Löhnen, Energie und „monströser Bürokratisierung“. Mit dem Effekt, international laufend Marktanteile zu verlieren.
Ausgerechnet Italien als Vorbild
Ein Vorbild für Österreich sei ausgerechnet Italien, das 20 Jahre in Stagnation verharrte. Der südliche Nachbar habe eine Politik eingeschlagen wie Deutschland unter Gerhard Schröder, lobt Helmenstein und „fast alles richtig gemacht: Die Industriepolitik ist produktivitätsorientiert.“ Mit dem Effekt, dass die österreichischen Lohnstückkosten den italienischen „davonlaufen“. Sie stiegen in Italien seit 2010 moderat um 15 Prozent, in Österreich aber um 45 Prozent: „Das ist nicht auszuhalten“, warnt Helmenstein.
„Preisen uns völlig aus dem Markt“
Die laufende Herbstlohnrunde beeinträchtige Österreichs Wettbewerbsfähigkeit weiter. Die deutsche IG Metall einigte sich mit den Arbeitgebern auf einen neuen Tarifvertrag über zwei Jahre, mit einem Lohnplus von 2 Prozent im ersten Jahr. Lediglich der Kaufkraftverlust wird abgedeckt, während es in Österreich ein Prozent zur rollierenden Inflation extra gab. „Es ist zu befürchten, dass wir uns gerade in der metallverarbeitenden Industrie völlig aus dem Markt preisen.“
Geld kommt nicht in der Wirtschaft an
Die „absolut überzogenen Pensions- und Gehaltssteigerungen bei öffentlich Bediensteten“ sollten durch maßvolle kommende Tarifrunden kompensiert werden: „Maximal zwei bis drei Prozent, die Anhebung soll zwei Mal um ein halbes Jahr verschoben werden.“ Hohe Lohnabschlüsse haben den erfreulichen Effekt, dass die Österreicher laut Wifo einen Realeinkommenszuwachs in nur zwei Jahren (2024, 2025) von 6,5 Prozent erzielen werden. Doch wegen der Konsumflaute kommt das Geld nicht in der Wirtschaft an. Was Helmenstein an mehreren Faktoren, unter anderem am Vorsichtssparen, festmacht.
Eine Billion Zuschuss zu Pensionen
Mit Blick auf die nahenden Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos meint der IV-Chefökonom, dass Schwarz-Rot-Pink zwar „Zuckerlkoalition“ genannt werde, aber keine Süßigkeiten zu verteilen habe: „Wir werden uns auf saure Angebote einstellen müssen.“ Er sei sehr besorgt, was den Zuschussbedarf zum Pensionssystem angehe. „Hier besteht Priorität zu handeln.“ Der kumulierte Zuschussbedarf des Bundes zum Pensionssystem, ohne Reformen, belaufe sich bis zum Jahr 2050 auf eine Billion Euro.
„Bürokratie um 75 Prozent abbauen“
Spar- und Reformvorschläge hat Helmenstein einige. Die Bürokratie müsse „um 75 Prozent abgebaut werden“. Jede Förderung soll mit einem Ablaufdatum versehen werden, dasselbe gelte für Gesetze und Verordnungen nachgeordneter Bedeutung. Jede neu eingeführte Berichtspflicht sei zuerst im öffentlichen Bereich zu erfüllen: „Erst bitte selber vormachen, dass die Regelungen sinnvoll und nicht überschießend sind.“ Auch die „Teilzeit-Epidemie“ besorgt Helmenstein: „Es gibt Menschen, die mit minimalem Einsatz das volle Leistungsspektrum genießen.“ Er plädiert für eine „überproportionale Beteiligung Teilzeit-Beschäftigter an den Kosten“.
„Österreichs Bonität ist in Gefahr“
Der Euro-Raum „lebe“ immer mehr von Deutschlands Budgetdisziplin: „Wir sollten froh sein, dass Deutschland eine Schuldenbremse hat“, sagt Helmenstein. „Während in Frankreich die Dinge außer Kontrolle zu geraten drohen.“ Der Preis dafür sei der große Nachholbedarf der deutschen Verkehrs- und Bildungsinfrastruktur. Österreich profitiere vom „Stabilitätsanker Deutschland“, da das Zinsniveau insgesamt ein niedriges ist. Helmenstein sieht jedoch Österreichs AA+-Ranking in Gefahr, eine Abstufung käme Österreich extrem teuer. Um das Budget zu konsolidieren, müsse massiv gespart werden: um 15 Milliarden Euro, sagt Helmenstein. „Eine Absenkung der Abgabenquote von 43,6 auf 40,6 Prozent erhöht den Konsolidierungsbedarf um weitere 15 Milliarden.“ Also in Summe 30 Milliarden Euro, „mindestens“.
„Modifiziertes TTIP anstreben“
Der IV-Chefökonom appelliert, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen müsse noch vor der Inauguration Donald Trumps am 20. Jänner schnellstmöglich den Kontakt zum künftigen US-Präsidenten suchen. Mit dem Ziel, möglichst viele Warenkategorien vom angedrohten Zoll auszunehmen. Das Scheitern der Freihandelszone TTIP falle Europa auf den Kopf, daher brauche es jetzt „ein modifiziertes TTIP, dann werden beide Seiten davon profitieren.“ Sollte das nicht gelingen, droht gerade Österreich ein „Multi-Milliarden-Schaden“. Die Fallhöhe ist erheblich: Von Jänner bis August stieg der Export in die USA um enorme 13,1 Prozent.