Einen Tag vor dem Showdown um die US-Präsidentschaft stellen sich die Anleger bereits auf spürbar mehr Volatilität bei Aktien, Devisen & Co in den kommenden Wochen ein. Aus Sicht der Wall Street könnte ein Wahlsieg von Kamala Harris die Attraktivität von US-Aktien, die sich seit Monaten im Höhenflug befinden, schmälern. Kritisch beäugt wird vor allem ihr Vorschlag, die Unternehmenssteuer von 21 auf 28 Prozent zu erhöhen. Schätzungen zufolge könnte dies die Gewinne der S&P 500-Unternehmen um rund sechs Prozent senken und damit auf die Kurse drücken, erläutert Bruno Lamoral, Portfoliomanager bei Degroof Petercam Asset Management (DPAM).
Im Gegensatz dazu sollte die von Donald Trump anvisierte Erleichterung des gesetzlichen US-Körperschaftssteuersatzes von derzeit 21 Prozent auf 15 Prozent die Aktienmärkte erst einmal frohlocken lassen. Die Analysten von Goldman Sachs rechneten im September vor, dass sich die Gewinne der Unternehmen im S&P 500 so wohl um etwa vier Prozent erhöhen könnten. Der S&P hat in diesem Jahr bereits mehr als 20 Prozent zugelegt. Laut Robert Greil, Chefstratege von Merck Finck, dürfte für die Reaktion der Märkte nach der Wahl mit entscheidend sein, ob die Republikaner im Falle einer erneuten Präsidentschaft auch in beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit holen – „denn nur in einem solchen Red Sweep-Szenario könnte Trump jenseits seiner Zolldrohungen wohl auch den Großteil seiner Fiskalpläne in die Tat umsetzen.“
Erhöhen Importzölle die Inflation?
Unklar ist unter Experten wie sich die geplanten Strafzölle Trumps auf die Wirtschaft und damit auch auf die US-Aktienmärkte auswirken könnten. Produkte aus China will der Republikaner mit einem Strafzoll von 60 Prozent, Produkte aus Deutschland und allen anderen Teilen der Welt mit zehn bis 20 Prozent belegen. Die Auswirkungen hingen stark davon ab, wie die von den Exportzöllen betroffenen Länder reagieren, heißt es in einer Studie von Marcard, Stein & Co. „Vieles spreche jedoch dafür, dass eine deutliche Erhöhung der Importzölle das Wirtschaftswachstum bremsen und die Inflation erhöhen würde.“
Bauchschmerzen bei Anlegern in Deutschland
Die Aktienanleger in Deutschland sehen einem möglichen Wahlerfolg Trumps mit Bauchschmerzen entgegen. Im Falle eines Handelskriegs könnte gerade eine Exportnation wie Deutschland einen Schaden von 180 Milliarden Euro in den kommenden vier Jahren erleiden, prognostizierte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) jüngst in einer Untersuchung. Carsten Klude von M.M Warburg geht davon aus, dass die Einführung von Strafzöllen auf Autos unter Trump sehr wahrscheinlich sei, was die Krise der deutschen Automobilindustrie weiter verschärfen dürfte. Für den DAX sollte es daher sehr schwer werden, seine jüngste Erfolgsbilanz fortzusetzen, meint Jürgen Molnar von Robomarkets. „Am Morgen des 6. November könnte der Markt – sofern ein eindeutiger Sieger in den USA feststeht – also entweder eine ganz neue Richtung bekommen oder aber eine Erleichterungsrally einsetzen.“ Allein seit 2023 ist der DAX um gut 37 Prozent nach oben geschossen, zeitweise stand er im Oktober mit 19.674,68 Zählern kurz vor dem Überspringen der 20.000er-Marke.
US-Dollar könnte profitieren
Ob eine Trump-Politik, die unter anderem die Einführung beziehungsweise Ausweitung von Strafzöllen, spürbare Steuersenkungen oder den Eingriff in die Unabhängigkeit der US-Notenbank Fed beinhalten könnte, gut oder schlecht für den Dollar ist, hängt nach Einschätzung der Helaba-Experten vor allem von der Ausgestaltung des geldpolitischen Kurses in den USA ab. „Wenn die Fed aufgrund einer zunehmenden Inflation ihre Politik ausreichend strafft beziehungsweise weniger lockert, sollte die US-Währung profitieren“, schreiben die Analysten in einem Kommentar. Falls die US-Notenbank aber umgekehrt eine zu lockere Geldpolitik betreibe – ob auf Druck von Trump oder unabhängig davon –, dürfte das den Dollar belasten. „Ein Niedergang oder Absturz des US-Dollar ist aber weder unter Trump noch unter Harris zu erwarten“, meinen die Experten. Zuletzt hat der Dollar unter anderem aufgrund der ermutigenden US-Konjunkturdaten spürbar aufgewertet, seit Oktober kommt der Dollar-Index auf ein Plus von mehr als drei Prozent.
Aussicht auf kryptofreundlichere USA
Eine Präsidentschaft Trumps könnte Cyber-Devisen wie Bitcoin und Ethereum Rückenwind verleihen. Der Republikaner habe seine Einstellung zum Krypto-Markt in den letzten Jahren geändert und sich – anders als in seiner ersten Amtszeit – mehrfach positiv zu Kryptowährungen geäußert, stellt Marcel Heinrichsmeier von der DZ Bank fest. „Dies stärkt die Aussicht auf eine kryptofreundlichere Regulierung in den USA“, sagt der Analyst. „Krypto-Anhänger hoffen zudem auf eine weitere Etablierung von Bitcoin & Co. als eigenständiges Marktsegment.“ Auf einer Bitcoin-Konferenz Ende Juli versprach Trump er werde die USA zum weltweiten Marktführer für Kryptowährungen machen und eine nationale Bitcoin-Reserve anlegen. Jürgen Molnar von RoboMarkets geht davon aus, dass Bitcoin im Falle eines Wahlsiegs von Trump mittel- bis langfristig die 100.000-Dollar-Marke ansteuern dürfte. Zuletzt notierte die Cyberdevise in Reichweite ihres im März markierten Rekordhochs von 73.803 Dollar (68.242 Euro).
Harris dürfte nach Einschätzung von Timo Emden von Emden Research nüchterner an das Thema Cyber-Devisen herangehen - im Vergleich zu US-Präsident Joe Biden gelte sie als kryptofreundlicher. „Im Rennen um den Einzug in das Weiße Haus dürften beide Lager mittlerweile erkannt haben, dass die Kryptobranche zu groß ist, um sie ignorieren zu können.“
Gold verstärkt aus „sicherer Hafen“
In einer zweiten Amtszeit Trumps könnten Anleger Gold verstärkt als sicheren Hafen ansteuern. Anleger befürchten, dass der Republikaner im Falle eines Wahlsiegs mit seinen Steuersenkungsversprechen die US-Staatsverschuldung deutlich nach oben treibt und den Dollar schwächt. Schon jetzt sei der Kauf des Edelmetalls de facto eine Absicherung gegen höhere Haushaltsdefizite in den USA, sagt Kyle Rodda von Capital.com. Zuletzt markierte der Goldpreis einen Rekord nach dem anderen - seine jüngste Bestmarke liegt bei 2.790,15 Dollar je Feinunze. In diesem Jahr hat sich das Edelmetall um mehr als 30 Prozent verteuert. Getrieben wird der Preis auch durch die Spannungen im Nahen Osten und die sinkenden Zinsen in den USA und der Eurozone.
Etwas schwieriger sind die Auswirkungen der US-Wahl auf den Rohstoffmarkt abzuschätzen. Hier wird der Preis derzeit vor allem von dem Konflikt zwischen Israel und dem Iran sowie von der Schwäche der Ölnachfrage in China bestimmt. Eine klare Aussage darüber, ob eine zweite Trump-Präsidentschaft „besser“ für den Ölmarkt wäre als eine Präsidentschaft von Harris, sei daher nicht möglich, meint Commerzbank-Analyst Carsten Fritsch. Grundsätzlich werde Trump als besser für die Ölindustrie angesehen, weil er bestehende Umweltregulierungen abbauen würde. „Harris dürfte dagegen an der Regulierung festhalten“, meint der Experte. Ob sie darüber hinaus Beschränkungen etwa beim Fracking einführen würde, dazu gebe es jedoch unterschiedliche Ansichten.
„Schreckgespenst der Rentenanleger“
Die fiskalpolitischen Pläne eines möglichen Präsidenten Trump dürften zu höheren Staatsausgaben und einer steigenden Neuverschuldung führen - dies wiederum könnte den Druck auf die Anleihen erhöhen und die Zinsen steigen lassen, prognostiziert Jochen Stanzl von CMC Markets. Auch Elmar Völker von der LBBW konstatiert: „Ex-Präsident Donald Trump ist das Schreckgespenst der Rentenanleger.“ Sein Programm berge die größte Sprengkraft sowohl mit Blick auf die US-Staatsverschuldung als auch hinsichtlich einer weiteren Steigerung der US-Inflation. Besonders gefürchtet ist laut Völker das Szenario eines politischen Durchmarschierens des Republikaners, sollte er sich auf eine republikanische Mehrheit in beiden Kammern des US-Kongresses stützen können. Berechnungen zufolge könnten die Vorschläge des Republikaners Trump das US-Defizit über zehn Jahre um 3,6 bis 6,6 Billionen Dollar erhöhen. Bei der Demokratin Harris ist die Lage nicht so klar: Die Prognosen reichen von einem Abbau des Defizits um bis zu 400 Mrd. Dollar über ein Jahrzehnt bis zu einer Erhöhung um bis zu 1,4 Billionen Dollar. Zuletzt war die Rendite zehnjähriger US-Anleihen mit 4,3390 Prozent auf den höchsten Stand seit fast vier Monaten geschnellt.