Die Europäische Zentralbank (EZB) steht am heutigen Donnerstag wohl vor der dritten Zinssenkung in diesem Jahr. Fast alle der von der Nachrichtenagentur Reuters Ende der Vorwoche befragten Experten gehen davon aus, dass der für die Finanzmärkte relevante Einlagensatz um einen Viertelpunkt auf 3,25 Prozent nach unten geschraubt wird.

Auch Deutschlands Bundesbank-Chef Joachim Nagel zeigte sich zuletzt „durchaus offen“ für solche Überlegungen. Dies verdeutlicht, dass selbst Anhänger eines eher straffen Kurses die Hand für eine weitere Lockerung heben könnten, auch wenn Österreichs Notenbank-Gouverneur Robert Holzmann vor der EZB-Ratssitzung in Slowenien Bedenken anmeldete. Doch den Befürwortern einer Senkung spielt in die Hände, dass die von Nagel früher als „gieriges Biest“ bezeichnete Inflation vorerst gebändigt scheint.

Die Teuerung im Euroraum ist im September auf 1,8 Prozent gesunken und damit erstmals seit Mitte 2021 unter die Zielmarke der EZB von zwei Prozent gefallen. Inflationsraten von mehr als zehn Prozent wie im Herbst 2022 sind damit Geschichte. Die Währungshüter um Zentralbankchefin Christine Lagarde gehen zwar davon aus, dass es gegen Jahresende zu einem vorübergehenden Aufflackern kommt. Die jüngsten Entwicklungen stärkten allerdings die Zuversicht, dass die Inflation zeitnah wieder auf das Zielniveau zurückkehren werde, sagte Lagarde Ende September im Europa-Parlament. Danach sendete sie ein Signal für eine Zinssenkung: „Wir werden das bei unserer nächsten geldpolitischen Sitzung im Oktober berücksichtigen.“

„Wird nicht die letzte Senkung in diesem Jahr sein“

Viele Experten gehen fest davon aus, dass die EZB gegen Jahresende noch einen weiteren Schritt nach unten folgen lassen wird: „Die zu erwartende dritte Leitzinssenkung der EZB seit Juni wird nicht die letzte dieses Jahr sein“, meint auch Robert Greil, der Chefstratege vom Bankhaus Merck Finck. Nach Einschätzung von Commerzbank-Ökonom Marco Wagner stehen die Notenbanker nun vor der Herausforderung, die Marktfantasien nicht zu sehr anzustacheln, um auf den nächsten Sitzungen nicht in Zugzwang zu geraten: „Denn aus unserer Sicht dürfte die EZB nur einen Zwischenspurt einlegen und ab dem neuen Jahr die Zinsen wieder nur einmal im Quartal senken“, sagt der Experte voraus.

„Dank“ der schwachen Nachfrage von Haushalten sei die Inflation schneller zurückgegangen, als erwartet, wenngleich die Kerninflation weiter zu hoch sei, sagt auch Gunter Deuber, Chefanalyst von Raiffeisen International. Am Finanzmarkt habe man den Inflationsschock bereits abgehakt. „Das gibt der EZB die Möglichkeit, die Zinsen weiter zu senken.“ Deuber erwartet in diesem Jahr zwei weitere Zinssenkungen des Einlagenzinssatzes von derzeit 3,5 auf 3 Prozent.

Die Währungshüter halten eine Rezession in der Eurozone für unwahrscheinlich, auch wenn mit dem Einkaufsmanagerindex von S&P Global zuletzt ein wichtiger Frühindikator eine einsetzende Talfahrt signalisierte. Die unsicheren Konjunkturaussichten im Euroraum dürfte laut Experten auch den jetzt anstehenden Zinsentscheid maßgeblich beeinflussen, der Tenor lautet: Letztlich dürften Befürchtungen, dass sich die Konjunktur schwächer als bisher angenommen entwickeln könnte, eine wichtige Rolle spielen.