Es ist einer dieser Rekorde, nach dem man nicht unbedingt strebt. Fakt ist, dass Österreich sich gerade in einem Jahr befindet, das sehr wahrscheinlich als jenes mit den meisten Firmenpleiten in die Insolvenzgeschichte eingehen wird. Zahlen der Kreditschützer von AKV oder KSV1870 legen nahe, dass zurzeit alleine in der Steiermark im Schnitt tagtäglich zwei Unternehmen in die Pleite schlittern.„Die drei Branchen, in denen wir zurzeit die meisten Insolvenzen sehen, sind Bauwirtschaft, Handel und Gastronomie – es sind aber auch schon viele Autozulieferer dabei“, sagt dazu Kathrin Poltsch, Richterin am Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz – und fügt rasch an: „Ich glaube, wir haben den Höhepunkt noch nicht erreicht.“

Für Poltsch selbst bedeutet ein solches Jahr freilich Hochbetrieb. Bei gerade einmal drei steirischen Insolvenzrichterinnen an den zwei für Unternehmenspleiten zuständigen Landesgerichten in Leoben und Graz sei in turbulenten Zeiten wie diesen schon gehörig „Routine“ und „gutes Zusammenarbeiten“ notwendig, wie die Richterin erzählt. Welche Charaktereigenschaften dienlich seien? „Als Insolvenzrichterin muss man schnell entscheiden“, sagt Kathrin Poltsch, die in einem Insolvenzjahr „sicher 1000 Entscheidungen“ zu treffen hat – „Will man stundenlang überlegen, ist man falsch am Platz“.

Vom Antrag bis zur Sanierung

Gemeinsam mit der Richterin dringen wir tief in ihren beruflichen Alltag ein und wagen uns an wichtige Momente und Begriffe in und rund um ein Insolvenzverfahren heran.

Der Antrag. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten für die Beantragung eines Insolvenzverfahrens: den Eigenantrag des Unternehmens oder einen Gläubigerantrag. In der Steiermark beruhen „zwei Drittel der eröffneten Verfahren auf einem Gläubigerantrag“, schildert Kathrin Poltsch. Für in Probleme geschlitterte Unternehmen gilt juristisch eine Insolvenzantragspflicht. Richterin Poltsch: „Spätestens 60 Tage nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit muss der Antrag eingebracht werden. Bei Naturkatastrophen verlängert sich die Frist auf 120 Tage“. Ein Gläubigerantrag wiederum muss zwei Bestandteile unbedingt aufweisen: eine bescheinigte Insolvenzforderung und die Bescheinigung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. „Die Zahlungsunfähigkeit kann man am besten bescheinigen, wenn der Gerichtsvollzieher schon einmal vor Ort war und keine pfändbaren Gegenstände gefunden hat“, erklärt Kathrin Poltsch.

„Sicher 1000 Entscheidungen in einem Insolvenzjahr“: Richterin Kathrin Poltsch
„Sicher 1000 Entscheidungen in einem Insolvenzjahr“: Richterin Kathrin Poltsch © Stefan Pajman

Die öffentliche Hand. Besonders häufig treten bei Gläubigeranträgen Institutionen der öffentlichen Hand auf, also das Finanzamt oder die Gesundheitskasse. „Wir sind etwa der ÖGK dankbar, dass sie viele Anträge stellt“, sagt die Richterin. Immerhin gehe es „letztlich um unser aller Geld“. Der Vorteil der öffentlichen Hand? „Sie tut sich leichter, die Forderungen zu bescheinigen, weil sie einen Rückstandsausweis ausstellen kann. Das ist ein Exekutionstitel“, erklärt Juristin Poltsch.

Die Eröffnung. Liegt ein Eigenantrag vor, wird das Verfahren vom Gericht schnell eröffnet, „in Graz in der Regel noch am selben Tag“, sagt Poltsch. Bei einem Gläubigerantrag kommt es zunächst zu einer Tagsatzung, bei der Schuldner und Gläubiger geladen und gehört werden.

Das Verfahren. Bei Unternehmen wird zwischen Konkurs- und Sanierungsverfahren unterschieden. Ist das Verfahren eröffnet, folgen zwei Monate danach weitere Tagsatzungen („Berichts- und Prüfungstagsatzung“ werden oft zusammengelegt). Kathrin Poltsch: „In der Berichtstagsatzung wird entweder die Schließung oder die weitere Fortführung des Unternehmens beschlossen“. Der Schuldner bekommt den Auftrag, binnen 14 Tagen einen Sanierungsplanantrag einzubringen, in dieser Zeit gilt der Verwertungsschutz, es wird also noch kein Vermögensgegenstand verkauft. Um eine Entschuldung kann man sich freilich bis zum Schluss bemühen. Final sieht das Gesetz vor, dass ein Sanierungsverfahren drei Monate nach der Beantragung wieder abgeschlossen ist.

Der Sanierungsplan. „Für mich ist es das Schönste, wenn die Rettung eines Unternehmens gelingt“, erzählt Richterin Poltsch. Dafür braucht es aber einen Sanierungsplan, dem in der Sanierungsplanabstimmung eine Mehrheit der Gläubiger zustimmt. Benötigt werden die Kopfmehrheit – gezählt werden alle Anwesenden, damit die Interessen aller Gläubiger geschützt werden – und die Kapitalmehrheit. Nach Erfüllung des Plans erlöschen die Restschulden.