Die Inflation ist zwar zurückgegangen, das Leben der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist aber nicht billiger geworden. „Die rollierende Inflation reagiert zeitverzögert und liegt über der prognostizierten Jahresinflation (3,4 Prozent) bei 4,6 Prozent“, betont man bei der Gewerkschaft. Zusätzlich herrscht in den Branchen, für die die Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft Vida heute die Forderungen für die Herbstlohnrunden präsentierte, akuter Personalmangel, wie Vida-Vorsitzender Roman Hebenstreit beim Pressetermin erklärte. Fasst man die Branchen Eisenbahnen, Güterbeförderung (Lkw), private Autobusbetriebe im öffentlichen Verkehr sowie Arbeiterinnen und Arbeiter im Handel und in der Reinigung zusammen, betreffen die heute bekannt gegebenen Forderungen rund 224.500 Beschäftigte in Österreich.
Lohnerhöhung über der rollierenden Inflation
Zentral sind für die startenden Herbstlohnrunden, wie Hebenstreit betont, die Abgeltung der rollierenden Inflation, „sonst werden Arbeitende ärmer“ und darüber hinaus ein Ausgleich für die steigende Arbeitsbelastung (“immer weniger Menschen leisten immer mehr“). Die Lohnerhöhungen könnten sich keinesfalls an der aktuellen monatlichen Teuerungsrate allein oder am prognostizierten Konjunkturrückgang orientieren. Schließlich hätten die Unternehmen ihre Gewinne für die hinter uns liegenden Monate bereits eingefahren. „Lohnverhandlungen finden je nach Branche zumeist über einen vergangenen Zeitraum von bis zu zwölf Monaten statt. Sie stellen unter anderem die Abgeltung dafür dar, was die Arbeitnehmer bereits geleistet haben und nicht, was sie in Zukunft leisten werden.“ Es müsse eine Lohnerhöhungen über der rollierenden Inflation geben, auch um die Kaufkraft der Arbeitnehmer weiter stabil zu halten bzw. zu stärken.
Kommentar von Hannes Gaisch-Faustmann
Wobei es hier gerade um Niedriglohnbranchen gehe, in denen 47 Prozent des Einkommens für den Lebensunterhalt ausgegeben werden – „Branchen mit Brutto-Einstiegsgehältern von 2000 Euro“. Gerade diese Branchen würden unser Land aber „am Laufen“ halten, seien systemrelevant, wie es so schön heißt. „Es ist fahrlässig, wenn man politisch gerade hier auf Arbeitskräfte aus Drittländern setzt“, prangert Hebenstreit Bemühungen um eine Ausweitung der Rot-weiß-rot-Karte an und unterstreicht die Bedeutung einer Verbesserung der Rahmenbedingungen in den Kollektivverträgen. Nachtarbeit, Wochenend- und Freizeitarbeit sowie geteilte Dienste (mit ein paar Stunden vormittags und ein paar Stunden nachmittags) würden zum Arbeitskräftemangel beitragen.
Reinigungskräfte
In der Reinigungsbranche vertrittt die Vida rund 54.000 Beschäftigte mit einer 40-Stunden-Woche, die einen Brutto-Mindestlohn von 2000 Euro haben. „Mehr als zwei Drittel davon sind Frauen, die Beschäftigten werden systemisch in Teilzeit gehalten, und geteilte Dienste sind an der Tagesordnung – ein paar Stunden in der Früh, ein paar Stunden am Abend, damit diese Arbeitskräfte unsichtbar bleiben“, sagt die stellvertretende Vida-Vorsitzende Olivia Janisch. Die Forderungen der Vida, neben der Lohnerhöhung: Freizeit zumindest jedes zweite Wochenende und eine rechtzeitige Bekanntgabe von Dienstplänen, die in der Praxis oft sehr kurzfristig geändert werden – oder 50 Prozent Überstundenzuschlag für kurzfristige Planänderungen. Der erste Verhandlungstermin ist am 8. Oktober.
Arbeiter im Handel
Rund 150.000 Beschäftigte vertritt die Vida im Bereich der Arbeiterinnen und Arbeiter im Handel. Es handelt sich dabei großteils um die Arbeit in Lagern, Kühlhäusern u. Ä. Für die 38,5 Stunden-Woche liegt der Mindestlohn hier mit 2025 Euro brutto knapp über jenem der Reinigungskräfte. Auf der Wunschliste der Vida steht hier neben einer Lohnerhöhung ebenfalls mehr planbare Freizeit. Start der KV-Verhandlungen ist am 25. November.
Eisenbahnbedienstete
Im Fachbereich Eisenbahn vertritt die Vida rund 55.000 Beschäftigte. Gerhard Tauchner weist als Vertreter dieses Bereichs auf den Fachkräftemangel hin: Im Schnitt 4,5 Millionen Überstunden pro Jahr entsprechen, wie er sagt, 2000 Vollzeitarbeitskräften, hinzu kommen mehr als 400.000 Tage Resturlaubsbelastung, was noch einmal auf 2000 Vollzeitbeschäftigte umlegbar wäre. „Und 10.000 Mitarbeiter gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand.“ Berücksichtige man noch die Mitarbeiterfluktuation von etwa 10 Prozent, gebe es einen Bedarf an 15.000 neuen Arbeitskräften. Neben einer Gehaltsanpassung im Ausmaß der rollierenden Inflation, die Grundlage sind in diesem Fall 3,5 bis 4 Prozent, fordert die Gewerkschaft eine „zusätzliche Wertsteigerung“. Ersttermin für die KV-Verhandlungen ist der 23. Oktober.
Lkw- und Busfahrer
Als Branche mit vielen Überstunden, aktuell einem Drittel der Beschäftigten im Alter über 55 und einer Entlohnung auf dem Niveau von Reinigungskräften, gibt es laut Vida auch Im Fachbereich Straße viel zu tun. Großteils handelt es dich hier um Bus- und Lkw-Fahrer, wobei Letztere vor allem im Güterverkehr innerhalb von Österreich unterwegs sind. „Das heißt schwieriges Gelände – und 7,5 Tonnen bei schwierigen Witterungsbedingungen im Rücken zu haben, ist auch nicht lustig. Hinzu kommen Gefahrengut- und Sondertransporte“, heißt es bei der Vida. Obwohl beide auf der Straße unterwegs sind, unterscheiden sich Lkw- und Buslenker bei ihrem Monats-Mindestlohn doch beträchtlich: Mit 2700 Euro brutto verdienen Buslenker um 700 Euro mehr als Lkw-Fahrer. Zusätzlich machen den Beschäftigten geteilte Dienste zu schaffen. In den Befragungen der Vida heißt es zu den oft nicht sinnvoll nutzbaren Pausen zwischen den Fahrstunden: „Ich bin 15 Stunden verfügbar, aber nur 10 oder 12 Stunden bekomme ich bezahlt.“ – „Gefühlt fehlt es auch häufig an Wertschätzung“, spricht man bei der Vida fehlende Pausenräume oder Toiletten an – „oder überhaupt keine Möglichkeit, auf die Toilette zu gehen“. Die KV-Verhandlungen starten am 11. November, die Gewerkschaft fordert „zumindest eine Abgeltung der Teuerung.“