Gelegentlich finden sich in Zeitungen sogenannte Erbenaufrufe, mitunter auch aus dem Ausland, worin potenzielle, bislang noch nicht aktenkundige Erben aufgerufen werden, sich bei einem österreichischen Verlassenschaftsgericht bzw. einem Notariat (im Auslandsfall bei einer ausländischen Behörde) zu melden, um ihre erbrechtlichen Ansprüche binnen sechs Monaten geltend zu machen.
Die Grazer Notare Walter Pisk und Peter Wenger schildern aus der Praxis heraus, was dahinter steckt: „Zu Beginn des Verlassenschaftsverfahrens erhält der nach einer gerichtlichen Verteilungsordnung zuständige Notar vom Gericht eine Sterbemitteilung mit den Daten der verstorbenen Person und ihrer Angehörigen. Der Inhalt dieser Sterbemitteilungen ist aber oftmals unvollständig.“ In einem konkreten Fall, den Pisk schildert, habe sich darin keine Information über Angehörige gefunden. Auch Bekannte der Verstorbenen, die sich im Notariat meldeten, hätten keine Hinweise auf Verwandte geben können. Letztlich sei man veranlasst gewesen, ein Erbenedikt zu schalten.
Wie das Erbenedikt funktioniert
Ein solches Erbenedikt wird vom Notar in elektronischer Form in der sogenannten Ediktsdatei, einer öffentlich zugänglichen, kostenfrei abrufbaren Internet-Homepage für Veröffentlichungen der Gerichte, geschaltet. In dieser erfolgen im Übrigen auch diverse andere Veröffentlichungen der Gerichte, etwa in Insolvenzverfahren oder im Zusammenhang mit gerichtlichen Versteigerungen.
Väterliche Seite zunächst unbekannt
Im konkreten Fall meldeten sich auf das Erbenedikt nach einigen Wochen Großtanten sowie Großneffen und Großnichten. Bei einem so weitläufigen Verwandtschaftsverhältnis war es freilich nicht einfach, die Verwandtschaft nachzuweisen – „hierzu müssen die gesetzlichen Erben nämlich sämtliche Standesurkunden, die ihre Verwandtschaft zur verstorbenen Person lückenlos herleiten, vorlegen“, wie Wenger betont. „Durch umfangreiche Recherchen gelang es uns, diese zu bestätigen.“
Die neu gefundenen Verwandten halfen dabei, weitere Angehörige zu identifizieren, sodass letztlich die Nachkommen der Großeltern mütterlicherseits ausfindig gemacht werden konnten. Die väterliche Seite der Familie blieb leider unbekannt. „Einen Termin zur abschließenden Besprechung der Verlassenschaft konnten wir dennoch mit den gefundenen Verwandten vereinbaren“, sagt der Wenger.
Nur einen Tag nach dieser Besprechung meldeten sich allerdings plötzlich weitere Verwandte von der väterlichen Seite. „Glücklicherweise war bis dahin noch kein Einantwortungsbeschluss des Gerichts ergangen, sodass wir die neuen Erben nachträglich noch in das Verfahren einbinden konnten. Somit gab es einen weiteren Termin, und wir konnten nach langem Suchen alle noch lebenden Angehörigen informieren.“ Erfahren erbberechtigte Personen hingegen erst nach der rechtskräftigen Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens, also nach erfolgter Einantwortung der Verlassenschaft, von ihrem Erbe, so können sie ihr Erbrecht und den ihnen zustehenden Erbteil zwar dennoch beanspruchen, können es allerdings nur noch mit einer Erbschaftsklage und somit im streitigen Gerichtsverfahren durchsetzen.
Zuletzt das Heimfallsrecht des Staates
Was in diesem Zusammenhang auch noch wichtig ist: Ein öffentliches Standesregister sämtlicher Verwandtschaftsverhältnisse gibt es in Österreich nicht. Und vom hier geschilderten Fall der Suche nach namentlich unbekannten Erben oder Pflichtteilsberechtigten ist jener Fall zu unterscheiden, in dem es namentlich bekannte Erben oder Pflichtteilsberechtigte zwar gibt, deren Aufenthalt jedoch unbekannt ist. Pisk: „In solchen Fällen wird vom Verlassenschaftsgericht ein Abwesenheitskurator bestellt, der die Rechte des abwesenden Erben oder Pflichtteilsberechtigten wahrnimmt.“
Und was geschieht, wenn sich binnen sechs Monaten niemand auf das Erbenedikt hin meldet? „Dann kann die Verlassenschaft ohne Rücksicht auf die Ansprüche der unbekannten Erben oder Pflichtteilsberechtigten für erblos erklärt werden“, sagt Pisk. Eine solche erblose Verlassenschaft könne sich sodann der Bund, also die Republik Österreich, aneignen. Auf Antrag der Finanzprokuratur werde die Verlassenschaft dann übergeben – „früher nannte man dies Heimfallsrecht des Staates“.