Es geht Schlag auf Schlag. Die Intervalle, in denen Wirtschaftsforscher die ohnehin schlechten Prognosen für Österreichs Wirtschaft nach unten revidieren, werden immer kürzer. Und bedrohlicher. Anfang September prognostizierten die Ökonomen von Raiffeisen Research auch für heuer eine Rezession in Österreich. Kurz darauf legte die Nationalbank nach und änderte ihre bisherige Einschätzung dramatisch: Statt plus 0,3 Prozent wird für 2024 nun ein Minus von 0,7 Prozent erwartet. Zur Erinnerung: Österreichs Wirtschaftsleistung sank bereits 2023 um 0,8 Prozent.
Wifo-Chef Gabriel Felbermayr findet drastische Worte: Das nunmehr achte Quartal in Folge mit einer Stagnation oder einer Schrumpfung konfrontiere Österreich mit der „längsten rezessiven Phase seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“. Auch die Einschätzungen für das nächste Jahr fallen zunehmend trüb aus.
Es ist ein fataler Mix aus – teils auch hausgemachten – Standortdefiziten und der schwierigen gesamtwirtschaftlichen Kulisse. Österreich trifft Europas Wachstumsschwäche ganz besonders, insbesondere weil der wichtigste Handelspartner Deutschland ebenfalls in einer tiefen Krise steckt. Gleichzeitig haben schroffe Kostenentwicklungen auf verschiedenen Ebenen Produkte aus dem exportstarken Österreich international weniger konkurrenzfähig werden lassen. Schwindende Wettbewerbsfähigkeit trifft also auf einen schwächelnden Markt. Hinzu kommt: „Die Stimmungstiefs in der Industrie und am Bau übertrugen sich über den Sommer stärker auf die Dienstleistungssparten“, wie es Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria ausdrückt.
Aus dieser misslichen Gesamtlage sollen an dieser Stelle fünf problembehaftete Bereiche näher ausgeleuchtet werden.
1. Das Umfeld
Die Internationalität der heimischen Betriebe gilt seit geraumer Zeit als Wachstumsgarant, bei den Pro-Kopf-Exporten von Waren zählt Österreich zu den globalen Top 10. Zurzeit spiegelt sich die schwächelnde Konjunktur aber auch im Außenhandel wider: Im ersten Halbjahr sanken Österreichs Exporte um 5,5 Prozent.
Noch deutlicher fallen die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands ins Gewicht. Die Ausfuhren zum kriselnden Nachbarn, weiter wichtigster Handelspartner, reduzierten sich gar um 7,6 Prozent. Problematisch ist aktuell auch die Exportstruktur. Bei, schnell wachsenden, digitalen Exporten hinkt Österreich, wie die gesamte EU, hinterher. Abgesehen davon sind die Geschäftsvolumina mit weiter wachstumsstarken Ländern à la Indien (noch) zu gering.
2. Das Budget
„Die kommende Regierung hat ein Budgetproblem“, stand an dieser Stelle vor nicht allzu langer Zeit zu lesen. Tatsache ist, dass Österreich seit geraumer Zeit mit Blick auf die erzielten Einnahmen schlichtweg zu viel ausgibt. Das schränkt künftigen Spielraum drastisch ein. Auch, weil die EU ihre Fiskalregeln noch einmal überarbeitete.
Jüngst kam darüber hinaus das, schon per se furchtbare, Hochwasser belastend dazu. Lag das zu erwartende Budgetdefizit schon davor jenseits der sogenannten Maastricht-Grenze von drei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP), steuert Österreich nun „in Richtung 3,5 bis vier Prozent“, wie Holger Bonin, Chef des Instituts für Höhere Studien, jüngst wissen ließ. Zum Vergleich: Im kriselnden Deutschland dürfte das Defizit laut Ifo-Institut heuer zwei Prozent erreichen.
3. Der Arbeitsmarkt
Am Jobmarkt kommt die Konjunktur erst verzögert an. Mit einer Arbeitslosenquote von 6,9 Prozent ist Österreichs Arbeitsmarkt weiterhin robust. Zumindest zwei Entwicklungen dienen aber als Warnhinweis: Einerseits steigt die Arbeitslosigkeit in Industrie-Regionen wie der Steiermark oder Oberösterreich überdurchschnittlich.
Andererseits sinkt das Arbeitsvolumen stark. Verglichen mit dem vierten Quartal 2019 gingen die geleisteten Arbeitsstunden zuletzt um drei Prozent zurück – bei 3,5 Prozent Bevölkerungswachstum. Wifo-Chef Felbermayr: „Wenn immer mehr Menschen im Land sind, wir aber immer weniger arbeiten, ist unser Wohlstand offensichtlich in Gefahr.“
4. Die Wettbewerbsfähigkeit
Über die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Österreich wird seit Monaten debattiert. Klar ist: „Made in Austria“ hat sich im globalen Wettbewerb noch nie durch die günstigsten Preise, sondern mit Innovation und Qualität behauptet. Doch zuletzt schwächelte die Produktivität gehörig, gleichzeitig explodierten die Kosten. Die Industrie hat hierzulande enorme volkswirtschaftliche Bedeutung.
Die Energiepreisschocks setzten ihr massiv zu. Zuletzt sanken die Preise zwar, im Vergleich zu Asien oder den USA betragen sie aber ein Vielfaches. Auch im Europa-Vergleich schneidet Österreich schlecht ab, das gilt teils auch für die Dauer von Genehmigungsverfahren und bürokratische Auflagen. Die überdurchschnittliche Teuerung hat für deutlich höhere Lohnabschlüsse gesorgt. Die Metallindustrie, die 80 Prozent der Güter exportiert, rechnet vor: „Die Arbeitskosten pro Stunde liegen in Österreich um 22 Prozent über dem Schnitt der Eurozone.“
5. Die Zurückhaltung
Dass die Industrie und auch die Bauwirtschaft heuer nicht aus ihrem Tief herauskommen werden, war in allen Wirtschaftsprognosen eingepreist. Es wurde jedoch erwartet, dass etwa die höheren Lohnabschlüsse, die Inflationsrückgänge und die wieder zart sinkenden Zinsen den Konsum im Land ankurbeln. Die Hoffnung erfüllte sich nicht. Bei Raiffeisen Research spricht man im Zusammenhang mit dem sogar rückläufigen privaten Konsum und Handel von den „eigentlichen Enttäuschungen“. Und auch die Nationalbank attestiert eine „ausgeprägte Konsumzurückhaltung“.
Auch die Wifo-Ökonomen hielten das zuletzt in ähnlich konsternierter Tonalität fest. Wifo-Chef Felbermayr spricht von einer Situation des „Angstsparens“, die Nationalbank verweist auf einen „signifikanten Anstieg der Sparquote“. Ursache dafür sei „eine Verunsicherung und anhaltend schlechte Stimmungslage bei den Konsumentinnen und Konsumenten“. Zurückhaltung herrscht auch in den Unternehmen vor: Laut Wirtschaftsbarometer der WKÖ vom Sommer plant nur noch gut ein Viertel der Unternehmen Neuinvestitionen.