Ein idealisierter Blick auf das Leben, unerreichbare Schönheitsideale oder ein vielfältiges Umfeld für Hassrede, Cybermobbing und Desinformation.
Längst sind die dunklen Seiten von Social Media, von Online-Netzwerken, gut dokumentiert. Allein in den USA laufen zurzeit hunderte Gerichtsverfahren gegen Instagram, TikTok oder YouTube, weil diese Online-Netzwerke Minderjährige süchtig machen sollen. Auch wenn freilich nicht jeder, der die Netzwerke verwendet, automatisch Depressionen entwickelt, verweisen heute zahlreiche Studien auf direkte Zusammenhänge von exzessiver Nutzung mit Angstzuständen oder Lernproblemen.
Auf regulatorischer Seite versucht man, sukzessive dagegen anzukämpfen. Im US-Kongress wurden zwei Gesetze für verbesserten Jugendschutz im Internet eingebracht. In der Europäischen Union (EU) soll dies der Digital Services Act (DSA) gewährleisten.
Dieses Gesetz ist es auch, das Jana Lasser zusätzlichen Auftrieb verleiht. Die Steirerin arbeitet als Professorin für Data Analysis am IDea_Lab der Grazer Karl-Franzens-Universität und beschäftigt sich dort intensiv mit den Mechanismen populärer Online-Netzwerke. Lasser erforscht die Verbreitung von Verschwörungstheorien in digitalen Räumen, versucht herauszufinden, wie man Hassrede online am geschicktesten begegnen kann und forciert nun ein Projekt mit besonderer Strahlkraft.
Mehr Minuten, mehr Geld
Die Grazerin sucht nach einem Weg, wie soziale Medien anders funktionieren können. Felsenfest ist sie von deren konstruktiven Möglichkeiten überzeugt. „Unser Ziel sind Algorithmen, die dafür sorgen, dass wir besser miteinander diskutieren können, statt uns nur aufzuregen“, formuliert Lasser selbst die Idee. Um die Arbeit vorantreiben zu können, wurde Jana Lasser jüngst ein mit 1,5 Millionen Euro dotierter „Starting Grant“ des European Research Councils zugesprochen – eines der renommiertesten Förderprogramme für junge Wissenschafterinnen und Wissenschafter.
Wie die Suche nach den neuen Algorithmen laufen soll? Jana Lasser antwortet darauf zunächst einmal mit einer Beschreibung des Status Quo: „Die großen Plattformen versuchen heute, uns möglichst lange auf den Portalen zu halten. Desto besser ihnen das gelingt, desto besser funktioniert ihr Geschäftsmodell“.
Digitale Zwillinge von X und Reddit
Das aus gesellschaftlicher Sicht Problematische daran ist der algorithmische Fokus auf die Anzahl der Interaktionen. Denn: „Inhalt, auf denen wir im Schnitt wahrscheinlicher reagieren, ist jener, der uns aufregt, uns wütend macht“, schildert Jana Lasser. Die finale Kuratierung der Inhalte unterscheidet sich freilich von Netzwerk zu Netzwerk. Während TikTok etwa ausschließlich algorithmisch funktioniert, sind X, Instagram oder Facebook „Mitteldinge“ (Lasser) und Portale wie Reddit tatsächlich von einer Gemeinschaft moderiert.
„Toxizität reduzieren, pro-sozialen Inhalten mehr Sichtbarkeit geben und Desinformation reduzieren.“ Die Vorstellung, was einen „besseren“ Algorithmus ausmacht, ist bei Jana Lasser bereits recht klar. Ein Prototyp ist gebaut, auch der weitere Weg zum Ziel nimmt sukzessive Form an. So wollen Lasser & Co – fünf Forscherinnen und Forscher sind für fünf Jahre aktiv am Projekt beteiligt – digitale Zwillinge der Netzwerke X und Reddit bauen. Warum diese Netzwerke? „Weil wir von denen die meisten Daten haben“, sagt Lasser. Auf den Zwillingsportalen wird anschließend simuliert, getestet, ausprobiert und die Veränderung beobachtet. In „hoffentlich drei Jahren“ wollen Lasser & Co „erste solide Evidenz für neue Algorithmen haben“.
Der Netzwerkeffekt als Gegenspieler
Wie aber sollen diese schlussendlich den Weg zu den Userinnen und Usern schaffen? „Die Idee ist es, die neuen Algorithmen in existierende Plattformen einzusetzen“, sagt Jana Lasser. Hierbei liegt natürlich auch eine der größten Herausforderungen. Klar sei, dass die Plattformen „von sich aus wenig Interesse entwickeln, das umzusetzen“. Deswegen, und hier schließt sich der Kreis zum eingangs erwähnten EU-Gesetz, dem Digital Services Act (DSA), setzen Lasser & Co „große Hoffnung in die Regulierung“. Der DSA würde „die Tür für den Regulator öffnen, zu intervenieren“, sagt Jana Lasser.
Warum es aussichtslos scheint, ein neues, frisches Netzwerk zu etablieren? „Das hat primär mit ganz starken Netzwerkeffekten zu tun“, beschreibt Jana Lasser. Es will also de facto niemand von Facebook weg, weil niemand weggeht.