Die Europäische Zentralbank (EZB) entscheidet am heutigen Donnerstag über die Leitzinsen. An den Finanzmärkten wird mit einer Senkung gerechnet, auch Aussagen von EZB-Ratsmitgliedern über den Sommer legen das nahe. Zuletzt hatte sich die Inflation in der Eurozone mit 2,2 Prozent im August dem EZB-Ziel von mittelfristig 2 Prozent genähert. Die Währungshüter um EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatten im Juni die Zinswende nach unten vollzogen, als sie den Zinssatz vom Rekordhoch von 4,50 auf 4,25 Prozent drückten. Im Juli ließ die EZB die Zinsen unverändert und hielt sich die Tür für Leitzinssenkungen im September offen.
Eine weitere Zinssenkung von 25 Basispunkten, also 0,25 Prozentpunkten, durch die EZB gilt auch an der Börse als bereits „eingepreist“. Der Zins, zu dem sich Banken frisches Geld bei der Notenbank besorgen können – früher bekannt als wichtigster Leitzins – beträgt 4,25 Prozent. Da die EZB im März beschlossen hat, den Abstand zwischen beiden Zinssätzen ab dem 18. September auf 0,15 Prozent zu verringern, wird hier mit einer stärkeren Senkung gerechnet.
Finnlands Notenbankchef Olli Rehn hatte im August bereits offen für eine Zinssenkung im September plädiert. Am Geldmarkt wurde die Wahrscheinlichkeit für eine Zinssenkung auf der heutigen EZB-Sitzung auf mehr als 98 Prozent taxiert.
Der Zinsbeschluss wird heute um 14.15 Uhr bekanntgegeben. Derzeit liegt der am Finanzmarkt richtungsweisende Einlagenzins, den Banken für bei der EZB geparkte Gelder erhalten, bei 3,75 Prozent. Er dürfte nach übereinstimmender Einschätzung von Finanzexperten um 0,25 Prozentpunkte sinken. Der Zins, zu dem sich Banken frisches Geld bei der Notenbank besorgen können – früher bekannt als wichtigster Leitzins – beträgt 4,25 Prozent.
Zudem legt die Zentralbank neue Prognosen etwa zu Inflation und Wirtschaftswachstum in der Eurozone vor. Sie könnten Hinweise auf die weitere Geldpolitik geben.
Spekulationen über XL-Zinsschritt in den USA
In den USA lässt unterdessen spürbar nach und räumt letzte Zweifel an einer nahenden Zinswende aus. Die Teuerungsrate sank im August auf 2,5 Prozent, nach 2,9 Prozent im Juli. An den Terminmärkten wird damit gerechnet, dass die Notenbank Federal Reserve die Zinsen am 18. September um einen Viertel-Prozentpunkt senken wird.
Die Chance, dass die Fed sie um einen halben Prozentpunkt nach unten setzt, gilt als gering. Die Wahrscheinlichkeit für einen solchen XL-Schritt, über den an den Märkten zwischenzeitlich stärker spekuliert wurde, wird nunmehr nur noch auf 15 Prozent taxiert. Derzeit liegt der geldpolitische Schlüsselsatz noch in der Spanne von 5,25 bis 5,50 Prozent. Fed-Chef Jerome Powell gab den Finanzmärkten im August auf dem Notenbankforum in Jackson Hole das erhoffte Signal für einen Lockerungsschritt: Es sei an der Zeit, die Geldpolitik anzupassen.
„Inflationsschreck ist deutlich verblasst“
Bei dem von der Fed stark beachteten zugrunde liegenden Inflationstrend zeichnet sich in den USA allerdings noch keine Entspannung ab: Die sogenannte Kernrate, bei der die schwankungsanfälligen Kosten für Energie und Lebensmittel außen vor bleiben, verharrte im August auf dem Vormonatswert von 3,2 Prozent. Experten hatten damit gerechnet. „Der Inflationsschreck ist deutlich verblasst, das Inflationsthema ist aber besonders mit Blick auf die Kernrate nicht erledigt“, meint Ökonom Bastian Hepperle von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank.
Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank verweist darauf, dass die Inflationsrate vor allem aufgrund der im Jahresvergleich niedrigeren Energiepreise gesunken ist. Die Fed könne die Zinsen „ruhigen Gewissens“ senken. Das Leitzinsniveau sei gemessen an der aktuellen Inflation, selbst unter Einschluss der Kerninflationsrate, sehr hoch. „Das gegenwärtige Zinsniveau von über fünf Prozent birgt das Risiko, dass wenn es noch längere Zeit auf diesem hohen Niveau verbleibt, deutliche realwirtschaftliche Bremsspuren hinterlässt.“ Dies könne insbesondere dann der Fall sein, wenn US-Unternehmen in den kommenden Jahren für ihre Kredite eine deutlich kostspieligere Anschlussfinanzierung eingehen müssten.