Andreas Reiter hat diese Entwicklung bereits vor mehr als zehn Jahren prognostiziert: „Europa wird zu einem historischen Freizeitpark, der begehbar, aber auch zu bezahlen ist.“ Daher kommt es für den renommierten Tourismus- und Freizeitforscher auch nicht überraschend, dass sich immer mehr europäische Städte und Orte mit den Themen Eintrittsgeld und Zutrittsgebühr befassen. Das prominenteste Beispiel ist seit Mai die Lagunenstadt Venedig, wo von Tagestouristen fünf Euro an Eintrittsgeld verlangt werden.
13 Euro Gebühr für Tagestouristen
Nun kommt mit Zermatt wohl demnächst ein weiterer touristischer Hotspot hinzu. Das malerisch-mondäne Schweizer Bergdorf, das von majestätischen Alpengipfeln umringt ist, darunter auch das Matterhorn, erwägt – nach Vorbild von Venedig – ebenfalls eine Gebühr für Tagestouristen. Wer in einem Hotel oder einer Ferienwohnung nächtigt, also ohnehin Einnahmen bringt, müsste diesen Extra-Obolus nicht entrichten, auch Lieferanten, Handwerker etc. sollen ausgenommen sein. Laut dem Schweizer Fernsehen „SRF“ werde konkret darüber diskutiert, angedacht seien zwölf Schweizer Franken (umgerechnet 13 Euro), was der Kurtaxe für Gäste entspricht, die drei Nächte in Zermatt nächtigen.
Auch Zermatt ist mit dem Phänomen des „Overtourism“ konfrontiert, also Massen an Touristen, denen die örtliche Infrastruktur kaum noch gewachsen ist – und die bei der einheimischen Bevölkerung für steigenden Unmut sorgen. Viele Küstenstädte, Bergdörfer und Metropolen in Europa begegnen dem Thema mit unterschiedlichen Maßnahmen. In Hallstatt, wo man kein Eintrittsgeld verlangt, wurde u. a. mit einem Verkehrsleitsystem mit Einfuhrregeln für Reisebusse reagiert, was nicht immer die gewünschte Beruhigung bringt. Andere europäische Orte reagieren beispielsweise mit Zählkarten für Fußgängerzonen, mit Drehkreuzen an den Stegen, mit speziellen Steuern für Kreuzfahrtschiff-Touristen, die von Bord gehen.
„Wird viele Nachahmer finden“
Experte Reiter zeigt sich im Gespräch mit der Kleinen Zeitung überzeugt, dass das Modell Venedig, also Eintrittsgeld für Tagesbesucherinnen und -besucher, Schule machen wird. „Aus meiner Sicht wird das in Zukunft unausweichlich sein. Man kann darüber diskutieren, ob das ein kluges Modell ist oder ob es alternative Strategien dazu gibt. Aber es ist am einfachsten umzusetzen und wird noch viele Nachahmer finden“, so Reiter.
Man könne das „kritisch sehen, als Akt der Verzweiflung, oder man sagt, dass das eine natürliche Reaktion auf touristische Entwicklungen ist“. Er sei überzeugt davon, dass es in Zukunft beispielsweise auch vermehrt Premium-Wanderwege geben werde, für die Eintritt zu entrichten ist. Ob das positiv oder negativ zu sehen sei, wolle er nicht bewerten, „jedenfalls ist es aus meiner Sicht eine zu erwartende Entwicklung“. Das sei „natürlich alles andere als ein demokratischer Zugang. Wir sind es gewohnt, dass wir immer und zu jeder Zeit kostenlosen Zugang zu dieser Art von freizeittouristischen Aktivitäten haben“. Overtourism spiele hier eine große Rolle und das werde „als Steuerungsinstrument zunehmend zum Einsatz kommen, zum Teil auch unverzichtbar sein“.
„Gutes, gelungenes Beispiel“
Auch Gottfried Math, Geschäftsführer von TUI Österreich, sagte unlängst im Interview mit der Kleinen Zeitung: „Ich gehe davon aus, dass Venedig nicht der letzte Ort bleiben wird, wo so etwas eingeführt wird.“ So sei auch im Fall von Dubrovnik „die Politik eingeschritten und hat damals auch die Zahl der Kreuzfahrtschiffe und der Busse begrenzt, das ist ein gutes und gelungenes Beispiel“, so Math.
Eine zentrale Frage sei, was mit den Zusatzeinnahmen gemacht werde. In Zermatt, so berichten es Schweizer Medien, soll das Eintrittsgeld „Green Tag“ genannt werden, übersetzt „grüne Etikette“. Das auch deshalb, weil mit den Gebühren nachhaltige Gemeindeprojekte finanziert werden sollen. Auch Experte Reiter sieht darin einen Schlüssel, „wenn man dieses Geld klug in nachhaltige Infrastrukturprojekte an dem jeweiligen Ort investiert, ist das in Ordnung“.
„Kein Abschreckungs-Tool“
Wird es auch in Österreich zu derlei Maßnahmen kommen? Reiter antwortet mit einem ganz klaren „Ja, das wird längerfristig auch in Österreich kommen und bei uns flächendeckend ausgerollt werden, davon bin ich absolut überzeugt. In all den touristisch hochfrequentierten Orten wird man das auf kurz oder lang machen“. Ein „Aufstand“ der Tagesausflügler sei nicht zu befürchten, meint Reiter, „zum Teil erhöht das dort oder da die Begehrlichkeiten, ich glaube nicht, dass das ein Abschreckungs-Tool ist“.
Dennoch gelte es, gerade dort, wo Menschen leben, dem Trend entgegenzuwirken, dass ganz Europa zum Themenpark wird, appelliert Reiter.