Vier Arbeiter waren jahrelang bei einer Wiener Gärtnerei beschäftigt. Ihren Lohn erhielten sie generell nur in bar – in Geldkuverts vom Chef persönlich. Sie wurden regelmäßig angeschrien und beschimpft, Trink- und Toilettenpausen waren genau vorgegeben. Die Wohnbedingungen in Containern waren miserabel. Zusätzlich hatte sie ihr Arbeitgeber nur für 20 Stunden bei der ÖGK angemeldet, obwohl die tatsächliche Arbeitszeit durchschnittlich 70 Stunden pro Woche betrug. Außerdem wurde der geltende Kollektivvertrag nicht eingehalten, Überstunden, Urlaubs- und Weihnachtsgeld wurden grundsätzlich nicht bezahlt. Urlaub wurde prinzipiell nicht gewährt. – Das ist eines der Beispiele, das in den vergangenen Monaten bei der neuen Stabsstelle für Betrugsbekämpfung der AK Wien landete.
Andrea Ebner-Pfeifer, Arbeitsrechtsexpertin bei der AK-Stabsstelle, hat noch einige mehr parat: 100 Bauarbeiter, die ursprünglich von einem Generalunternehmer beschäftigt waren, während ihrer Tätigkeit aber ohne ihr Wissen auf mindestens acht verschiedene Firmen umgemeldet wurden, jeweils knapp über der Geringfügigkeitsgrenze. Oder drei Kolumbianer, die aufgrund einer Facebook-Anzeige nach Österreich kamen, um als Lkw-Fahrer zu arbeiten. Die Fahrer wurden aber nicht bei der österreichischen Firma angestellt, sondern nach Kroatien gebracht, um dort einen Dienstvertrag zu unterschreiben und ein Konto bei einer kroatischen Bank zu eröffnen.
Die Branchen, in denen es am meisten Probleme gibt, sind laut AK das Baugewerbe, Leiharbeit (Arbeitskräfteüberlassung), Gastronomie, Reinigung und Transportgewerbe. Und es sind nicht nur ausländische Firmen betroffen. Auch in Österreich würden einzelne Arbeitgeber zu fragwürdigen Methoden greifen, um sich einen unfairen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, wie Ebner-Pfeifer erklärt. Ludwig Dvorak, Bereichsleiter „Arbeitsrechtliche Beratung und Rechsschutz“, bei der AK Wien sagt: „Tausende Dienstnehmer sind betroffen und es geht um viel Geld sowohl für die Betroffenen als auch für den Sozialstaat.“ Daher kooperiere die vor acht Monaten gegründete Stabsstelle Betrugsbekämpfung der AK Wien mit der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), den Bezirksverwaltungsbehörden der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) sowie der Finanzpolizei, um Unternehmen, die systematisch Lohn- und Sozialbetrug betreiben, ausfindig zu machen und die Praktiken abzustellen.
Die Muster von Sozialbetrug würden einander immer wieder ähneln. Dvorak nennt zum Beispiel Lohndumping, bei dem Löhne nicht rechtzeitig, nicht in richtiger Höhe oder gleich gar nicht bezahlt werden – und falsche Anmeldungen bei der Sozialversicherung, etwa Teilzeit bei Vollzeit mit Auszahlungen von Schwarzgeld. Ebenfalls häufig: rückwirkende Abmeldungen von der Sozialversicherung, heimliche Ummeldungen der Arbeitnehmer auf Sub-Unternehmer und generell lange Subunternehmerketten, die die Rechtsdurchsetzung erschweren.
Rechtliche Mittel
Es gäbe durchaus rechtliche Mittel, um die Missstände zu bekämpfen, wie Dvorak betont. Ein wichtiger „Schutzwall“ für Arbeitnehmer sei allerdings mutwillig beschädigt worden: „Das Kumulationsprinzip, nachdem verhängte Strafen mit der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer multipliziert werden, hat die jetzige Regierung 2021 abgeschafft.“ Die Folge: „Zeigen sich Arbeitgeber, die gegen das Lohn- und Sozialdumpingbekämpfungsgesetz verstoßen haben, kooperativ, dann ist die maximale Strafe niedriger als das vorenthaltende Entgelt.“
Weiters würde eine Erstauftraggeberhaftung für Löhne die Praxis unterbinden, lange Subunternehmerketten zu bilden. Im Baubereich gebe es außerdem schon seit vielen Jahren eine Haftung des Auftraggebers für die Sozialversicherungsbeiträge. „Die Erfahrungen sind gut, die ÖGK kann dadurch sehr erfolgreich ihre Beiträge einheben. Daher sollte diese Haftung auch auf andere Bereiche ausgedehnt werden.“ Und wenn Firmen offene Forderungen nicht fristgerecht bezahlen, sollte in Zukunft der doppelte Betrag fällig werden – das sogenannte Duplum. Dvorak: „Damit könnte man verhindern, dass die Löhne, die den Beschäftigten zustehen, als Liquiditätspuffer missbraucht werden.“