Die Zinswende in den USA naht: Angesichts jüngster Turbulenzen an den Finanzmärkten kann es vielen Investoren gar nicht schnell genug gehen. Laut US-Notenbankchef Jerome Powell liegt für die nächste Sitzung am 18. September eine Senkung „auf dem Tisch“. Doch ist es bis dahin für die nervösen Märkte noch eine gefühlte Ewigkeit, zumal die Europäische Zentralbank (EZB) diesseits des Atlantiks die Zinswende längst vollzogen hat.
„Die Rufe nach einer außerplanmäßigen Sitzung und einer dringenden US-Zinssenkung werden immer lauter“, meint Fed-Beobachter Dan Scott vom Investmenthaus Vontobel. Obwohl solche Schritte selten sind, habe die Federal Reserve in den letzten 30 Jahren insgesamt elf Dringlichkeitssitzungen abgehalten - zuletzt im März 2020 zu Beginn der Covid-Pandemie. Sie stemmte sich damals gegen den Konjunktureinbruch.
Diesmal waren die Finanzmärkte nach enttäuschenden Zahlen vom Arbeitsmarkt von der Furcht gepackt worden, dass die USA auf eine Rezession zusteuerten und die Fed mit einer Zinssenkung im kommenden Monat zu spät kommen könnte. Deshalb hatten die Börsen in Asien, Europa und den USA Ende vergangener Woche deutliche Kursverluste erlitten. Die Fed hielt den Leitzins Ende Juli weiter in der Spanne von 5,25 Prozent bis 5,50 Prozent.
Fed-Chef Powell signalisierte zugleich Bereitschaft zu einer Senkung, ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Man wolle noch weitere „gute Daten“ sehen - insbesondere mit Blick auf ein Abebben der Inflation. Diese könnten nächste Woche auf seinem Bildschirm auftauchen. Experten erwarten für Juli einen Rückgang der Teuerungsrate auf 2,9 Prozent, womit das Inflationsziel der Fed von zwei Prozent etwas näher rücken würde.
Zur Beruhigung der Märkte trugen Wachstumssignale des für die US-Wirtschaft wichtigen Dienstleistungssektors bei. Die USA sollten aus Sicht von Helaba-Ökonom Ralf Umlauf im dritten Quartal auf Wachstumskurs bleiben, auch wenn die Dynamik im zweiten Halbjahr insgesamt schwächer ausfallen dürfte als im ersten. Mit Zinssenkungen sei gleichwohl im September und im weiteren Jahresverlauf zu rechnen.
„Alles ist immer auf dem Tisch“
Investoren sehen zunehmend auch die Möglichkeit, dass die Fed einen XL-Zinsschritt im Umfang von einem halben Prozentpunkt wagen könnte, statt einer üblichen Senkung um einen Viertel-Prozentpunkt. Die Konjunkturlage sei aktuell aber nicht so schwach, dass hektische Reaktionen der Fed angebracht wären, meint NordLB-Analyst Tobias Basse. Zu starke Zinssenkungen könnten von den Anlegern sogar als Hinweis auf eine große Nervosität verstanden werden.
Dieses Risiko würde die Fed auch bei einer außerplanmäßigen Zinssenkung eingehen: US-Währungshüter Austan Goolsbee wollte sich jüngst nicht in die Karten schauen lassen, ob es tatsächlich zu einer Notsitzung kommen könnte. Die Fed verfüge über einen riesigen Konferenztisch in ihrem Sitzungssaal: „Alles ist immer auf dem Tisch, seien es Erhöhungen oder Senkungen“, sagte der Chef des Notenbankbezirks Chicago dem Sender CNBC.
Gelegenheit, den Märkten weitere Orientierung zu geben, gibt es beim Notenbanksymposium in Jackson Hole. Das Treffen am Fuße der Rocky Mountains wird vom 22. bis 24. August abgehalten. DWS-Volkswirt Christian Scherrmann rechnet mit „klareren Signalen“, nachdem die Tür für eine Senkung schon ein wenig geöffnet sei.
„Weltweiter Trend hin zur Lockerung“
Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte einen ersten Lockerungsschritt im Juni gewagt und die Zinsen um einen Viertelprozentpunkt gesenkt. Am 12. September könnte sie einen zweiten folgen lassen. Das wäre nur wenige Tage vor der regulären Fed-Zinssitzung in Washington. Aktuell liegt der Einlagensatz, den Geldhäuser erhalten, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder horten, bei 3,75 Prozent. Der Leitzins, zu dem sich Banken im Euroraum frisches Geld bei der EZB besorgen können, wurde von 4,5 auf 4,25 Prozent zurückgenommen.
Laut LBBW-Zinsexperte Elmar Völker nimmt mit Ausnahme von Japan weltweit der Trend hin zur Lockerung der Geldpolitik Fahrt auf. Auch im Euroraum hätten zuletzt Zinssenkungserwartungen einen Schub bekommen. Für die EZB-Ratssitzungen im September, Oktober und Dezember seien Schritte nach unten am Finanzmarkt in den Kursen enthalten. „Damit lehnt man sich schon sehr weit aus dem Fenster“, warnte er. Sein Argument: Die Inflation im Euroraum fiel zuletzt höher aus als erwartet. Sollte die Rate auch im August nicht sinken, komme die EZB womöglich weniger senkungsgeneigt aus ihrer Sommerpause. Die LBBW rechnet damit, dass die EZB im September den Einlagensatz um einen viertel Prozentpunkt auf 3,50 Prozent senkt. Zum Jahresende erwartet sie den Satz bei 3,25 Prozent.