Alois Gölles denkt in großen Zeiträumen. „Langfristig“ ist ein Wort, das er oft einbaut, wenn er über sein Familienunternehmen spricht. „Wir legen es langfristig an“, sagt er, und: „Unsere Strategie richten wir auf Jahre und auf Jahrzehnte aus.“ Im Betrieb im südoststeirischen Vulkanland, dem Gölles mit seiner Familie über die vergangenen Dekaden zu einem Glanz verhalf, der weit über die Landesgrenzen strahlt, bereitet man sich gerade auf die Obsternte im August vor. Eine reine Routinesache. Gölles, der bald 65-Jährige, der noch immer den „Junior“ hinter dem Namen stehen hat, obwohl er längst der Seniorchef ist, kennt das von Kindesbeinen an, als er das Handwerk von seinem Vater, Alois senior, gelernt hat.

„Es wird eine gute Ernte“, gibt sich Gölles gelassen, denn es habe nicht viel Frost gegeben. Und würde es keine gute Ernte geben, was aufgrund der unterschiedlichen Witterungen vorkommen kann, „würden es unsere Kunden nicht merken.“ Denn – Sie ahnen es – in der Manufaktur Gölles denkt man voraus. „Wir haben mehrere Ernten im Lager.“

1400 Fässer Essig

Das Fasslager, es ist „das größte in Österreich oder vielleicht sogar in Mitteleuropa“ (Gölles), ist quasi die Schatzkammer des Betriebes, dessen Wurzeln drei Generationen zurückreichen und das Ende der 1950er Jahre von Alois Gölles senior auf Obstbau getrimmt wurde. Alois Gölles junior hob es dann auf die nächste Stufe, indem er 1979 aus einer Liebhaberei heraus die ersten Edelbrände destillierte und 1984 mit dem Apfel-Balsamessig eine Weltneuheit schuf, da Balsamessig bis dahin nur aus Trauben erzeugt wurde. Der Erfolg stellte sich über Nacht ein, der Essig ließ die Fachwelt staunen, Preise wurden abgeräumt und einige Jahre später kopierte der Mitbewerb das Original.

Und Gölles baute weiter beharrlich auf, was sich heute „Manufkatur für edlen Brand und feinen Essig“ nennt. In der Zwischenzeit stehen 20 Edelbrände und 19 Essigsorten im Portfolio, das 40-jährige Jubiläum des Apfelbalsamessigs feierte die Familie heuer im Steirereck am Pogusch. Gölles‘ erster Wurf war sein größter. „Der Apfelbalsamessig ist unser Flaggschiff“, betont er.

Eine Handvoll Flaschen vom Jahrgang 1984

Der 1999 erbaute Keller beherbergt 1400 Barriques nur für Essig, die Essig-Produktion kommt auf 150.000 Liter im Jahr. „Wir produzieren mehr als wir verkaufen, daher können wir die Produkte reifen lassen“, setzt Gölles einmal mehr auf den Faktor Zeit – und kompromisslos auf Qualität. Vom allerersten Balsamessig, Jahrgang 1984, existiert noch eine Handvoll Flaschen, „die wir nur zu besonderen Anlässen hervorholen, zum Beispiel, wenn meine Frau Herta Geburtstag hat“.

90 Prozent des Essigs bleiben in Österreich, der Rest geht nach Deutschland, in die Schweiz – und eine kleine Menge nach Italien, in die Heimat des Balsamico, wie Gölles mit einem Schmunzeln quittiert. „20 Prozent aller Produkte werden aber bei uns am Hof verkauft“, streicht der Chef hervor. Pro Jahr kommen rund 30.000 Besucher in den Betrieb, 20.000 davon in die 1993 errichtete und 2015 ausgebaute „gläserne Manufaktur“, Verkostung inklusive. Obwohl der Markt für Obstbrände „seit 20 Jahren kleiner wird, haben wir immer noch leichte Zuwächse“, Nachsatz Gölles: „Das ist unserer langfristigen Strategie zu verdanken.“ Aktuell halten sich beim Umsatz Essig und Spirituosen die Waage.

Von langer Hand vorbereitet hat Alois Gölles auch seine Nachfolge. Wenn er am 29. März 2025 65 Jahre alt wird, übernimmt Sohn David die Verantwortung. Der 35-Jährige wuchs im Betrieb auf und schreibt bereits einige Zeit am eigenen Kapitel. Nach dem Studium der Lebensmittel- und Biotechnologie in Wien und Erfahrungen im Ausland baute er 2018 – in einem ehemaligen Wirtshaus – mit Partnerin Katharina Fleck fünf Kilometer vom Stammhaus entfernt das „House of Whiskey, Gin & Rum“.

„2003 haben wir den ersten Whiskey destilliert, damals noch durch meinen Vater, 2006 den ersten Rum“, sagt David Gölles, in den Verkauf gelangten die Produkte aber erst 2016 und 2019. Die Idee war, das Getreide, das auf den Feldern vor der Haustüre wächst, „zu veredeln. Nach und nach fanden wir immer mehr Gefallen an der Materie, heute sind wir ihr völlig verfallen“, so David Gölles.

Im „House of Whiskey, Gin & Rum“ lagern mittlerweile ebenso viele Fässer, rund 1400, wie im Essiglager. „Das Spiel mit den verschiedenen Fasstypen“, 40 sind es, gilt Gölles als essenzieller Teil seiner Arbeit, die Art, die Dinge anzugehen, nennt er „unkonventionell. Unsere Destillate überraschen oft, manchmal polarisieren sie.“ Von seiner „Leidenschaft fürs Hochprozentige“, die er mit dem Vater teilt, erwartet er sich ähnliche Erfolge, zumal es für Whiskey, Gin und Rum größere Exportchancen gibt als für Essig. „Für den Rum ist es es eine spannende Zeit. Die Beliebtheit nimmt zu. Wir wollen zeigen, dass er nicht nur in der Mehlspeise schmeckt.“