Darf ich auf eine kurze Zeitreise einladen? Versuchen Sie bitte, sich ins Jahr 2006 zu versetzen. Italien ist frisch gekürter Fußball-Weltmeister, Orhan Pamuk Literaturnobelpreisträger und Nordkorea löst mit ersten Atomtests global Sorgenfalten aus. In der Welt der Technologie wird ein Kurznachrichtendienst namens Twitter ins Leben gerufen und Youtube von Google gekauft. Und dann gibt‘s da noch einen scheibenförmigen Datenträger, der in trauter Zweisamkeit mit dem charmanten Piraten Jack Sparrow zur Hochform aufläuft.
14,5 Millionen Mal wird die DVD des Films „Fluch der Karibik 2“ alleine in den USA verkauft. Die Menschen holen sich das große Kino ins Wohnzimmer, die Filmindustrie beschafft sich so gigantische Mehrumsätze. Alleine mit den 100 meistverkauften DVD-Titeln holen sich die Studios 5,4 Milliarden Dollar. Ein Wert, der ein Jahr später gleich noch einmal übertroffen wird. Fluch der Karibik 3 oder Transformers sind 2007 die Gassenhauer und sorgen für einen bis heute nicht mehr erreichten Verkaufshöhepunkt. „Peak DVD“ ist erreicht.
Krise, Streaming, Uneinigkeit
Dann aber ändern sich recht plötzlich die Rahmenbedingungen. Eine Wirtschaftskrise zieht auf, zugleich startet das unscheinbare Unternehmen Netflix sein „Video-on-Demand“-Geschäft. Per „Streaming“, also dem Datentransfer via Internet, werden Filme Abonnenten angeboten. Wann immer und wo immer sie wollen. Nicht zuletzt beschleunigt die Industrie selbst den Niedergang der DVD, indem sogenannte „Blu-rays“ forciert werden. Eine höhere Auflösung wird versprochen, besserer Ton – in Summe bietet die neue Technologie jedenfalls deutlich mehr Platz für gespeicherte Daten.
Die goldenen Zeiten der DVD erreicht die Blu-ray trotzdem nie. Ab 2014 beginnen auch beim neuen Hoffnungsträger die Verkaufszahlen in den wichtigsten Märkten zu sinken, während Österreich in diesem Jahr mit 3,3 Millionen verkauften Blu-rays den Rekordwert verzeichnet. Eine Liebesbeziehung wird es hierzulande nie, selbst in besten Blu-ray-Zeiten steht in Österreich die DVD stets bei deutlich höheren Marktanteilen. Heute darf man in beiden Fällen getrost von Fernbeziehungen sprechen.
„DVD hat Niedergang beschleunigt“
„Physische Bild- und Tonträger sind so weit in die Bedeutungslosigkeit gedrängt worden, wie das in früheren Jahren die CD mit der Schallplatte oder die DVD mit der VHS-Kassette vorgezeigt hat“, heißt es etwa im Filmwirtschaftsbericht 2022 des österreichischen Filminstituts. Im aktuellsten Bericht wird dieser Befund noch einmal verdeutlicht. „Die DVD hat ihren Niedergang beschleunigt und erreicht nur mehr die Hälfte der Werte vor Corona“, steht dort wortwörtlich.
Zeugnis dessen ist auch die Bewegtbildstudie des Marktforschungsinstituts GfK. Bei den dort für Österreich ausgewiesenen Marktanteilen kommt die DVD – in Bezug auf die durchschnittliche Nutzungsdauer in Minuten pro Tag – im Jahr 2023 auf gerade noch 1,9 Prozent. In Deutschland, hierfür gibt es ausführliche Marktzahlen, lagen die Umsätze im DVD-Kaufmarkt im Vorjahr bei rund 163 Millionen Euro. In etwa ein Zehntel des Werts von 2004.
Wohin die Reise geht, ist längst kein Geheimnis mehr. Bis 2027, so führt es zumindest das Filminstitut aus, soll Video-on-demand in Österreich 4,23 Millionen Menschen erreichen. Der dadurch erzielte Umsatz wird auf knapp 550 Millionen Euro geschätzt.
Disney und Sony preschen vor
Eine, freilich globale Marktbewegung, die jetzt noch einmal massiv beschleunigt wird. Schon im Vorjahr kündigte Disney an, eigene Produktionen in bestimmten Regionen nicht mehr auf DVD oder Blu-ray anbieten zu wollen. Jetzt legt der japanische Produzent Sony großflächig nach.
Glaubt man dem Nachrichtenblog AV Watch, will Sony nämlich künftig gar keine DVDs und Blu-ray-Discs mehr für Endkunden herstellen. Die Produktion im Werk in Miyagi soll stufenweise eingestellt werden, 250 Jobs fallen weg. Eine etwaige Verlagerung sei nicht vorgesehen. Der offensichtliche Grund: Für Sony rentiert sich das Geschäft kaum mehr. Daten werden heute kaum mehr über Discs transportiert, auch für die Langzeitspeicherung eignen sich Festplatten deutlich besser. Und selbst in der Spieleindustrie, eine Hochburg der physischen Scheiben, wandern immer mehr Nutzerinnen und Nutzer zu Streamingportalen.