Ab heute blickt die Notenbankwelt wieder gebannt auf das kleine portugiesische Städtchen Sintra im Nordwesten von Lissabon. Bei dem jährlichen Geldpolitik-Forum der Europäischen Zentralbank (EZB) kommen dort vom 1. bis zum 3. Juli Notenbanker und Akademiker aus aller Welt zusammen, um über die Inflationsentwicklung und den richtigen Zinskurs zu diskutieren.
Das EZB-Forum ist neben der Notenbank-Konferenz der Federal Reserve in Jackson Hole im US-Bundesstaat Wyoming stets der wichtigste Konferenztermin für Währungshüter im Jahreskalender. „Geldpolitik in einer Zeit der Transformation“ ist diesmal das Motto. „Geopolitische Schocks, ein sich veränderndes Klima, treiben diese Veränderungen an, stellen unsere alte Realität auf den Kopf und ersetzen sie durch neue Unsicherheiten“, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde in einer Videobotschaft. Für die Währungshüter ist das keine einfache Situation: Der Krieg im Gaza-Streifen und in der Ukraine und dazu eine drohende Regierungsübernahme durch die rechtsextreme Rassemblement National (RN) im EU-Gründungsmitglied Frankreich lassen Wirtschaftsprognosen zunehmend unsicher erscheinen.
Orientierungshilfe für die Finanzmärkte
Anleger am Finanzmarkt sind vor allem daran interessiert, was das für den weiteren Zinskurs der EZB in diesem Jahr bedeutet. Aktuell wird am Finanzmarkt nur noch mit maximal zwei weiteren Zinssenkungen der EZB bis zum Jahresende gerechnet, nachdem die Euro-Notenbank Anfang Juni erstmals seit 2019 ihre Zinspolitik wieder gelockert hat. Zum Jahresstart waren noch mehr als vier Schritte nach unten erwartet worden.
Die EZB-Führung nutzte Sintra in der Vergangenheit häufig dazu, um den Finanzmärkten wichtige Orientierungshilfe zu geben zu ihrem weiteren Kurs. Lagarde startet die Konferenz am Montagabend mit einer Eröffnungsrede. Am Dienstag steht dann am Nachmittag vor allem eine Diskussionsrunde zur Geldpolitik im Mittelpunkt, an der neben Lagarde auch der Chef der US-Notenbank Federal Reserve, Jerome Powell, sowie Brasiliens Zentralbank-Chef Roberto Campos Neto teilnehmen. Dazu werden in Sintra neue Untersuchungen zum Zinszyklus, zu den Treibern der Inflation nach der Pandemie und zum Thema Biodiversität diskutiert. Auch eine Diskussionsrunde zum Thema geopolitische Schocks und Inflation steht auf der Agenda.
Weitere Senkungen im September und Dezember?
Viele Notenbankchefs aus den Euro-Ländern werden in Sintra vor Ort sein, darunter Bundesbank-Chef Joachim Nagel und der niederländische Notenbank-Chef Klaas Knot. Zuletzt hatten mehrere Euro-Wächter durchblicken lassen, dass sie vor allem auf den Zinssitzungen im September und im Dezember weitere Zinsentscheidungen erwarten. „Ich denke, das sind die richtigen Momente, wenn wir genug Daten haben, um wieder zu entscheiden,“ sagte der Notenbankchef der Slowakei, Peter Kazimir, am Donnerstag in Bratislava. Volkswirte der Euro-Notenbank erarbeiten vier Mal im Jahr neue Konjunktur- und Inflationsprognosen für die 20-Länder-Gemeinschaft. Diese Projektionen liegen den Währungshütern turnusmäßig zu ihren Zinstreffen im März, im Juni, im September und im Dezember vor.
Vor allem die hartnäckige Inflation im Dienstleistungssektor macht den Währungshütern derzeit Sorgen. Während die Gesamtinflation im Mai in der Euro-Zone bei 2,6 Prozent lag und damit nicht mehr weit entfernt von EZB-Ziel von 2,0 Prozent, verteuerten sich Dienstleistungen um 4,1 Prozent. Zudem weisen manche Notenbanker auf das Risiko eines stärkeren Lohnwachstums in der Euro-Zone hin - zuletzt einer der zentralen Inflationstreiber. Im ersten Quartal waren die Tariflöhne kräftiger als erwartet um 4,7 Prozent gestiegen. Als vereinbar mit dem EZB-Ziel gilt ein Lohnwachstum von drei Prozent. Die nächste Zinssitzung steht am 18. Juli in Frankfurt an.