Die EZB sieht laut Chefvolkswirt Philip Lane derzeit keine Gründe für Stützungskäufe auf dem Anleihemarkt, um Frankreich wegen der jüngsten Börsenturbulenzen unter die Arme zu greifen. Aus Sicht von Lane erfüllen die Kurskapriolen nicht die dafür erforderlichen Voraussetzungen, wie der oberste Ökonom der Europäischen Zentralbank (EZB) am Montag in einem Reuters-Interview an der Londoner Börse sagte.
Lane äußerte sich zudem zuversichtlich, dass die EZB trotz des zuletzt wieder etwas zugenommenen Preisschubs im Euroraum 2025 ihr Inflationsziel von 2,0 Prozent erreichen wird.
„Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen einer Neubewertung von Fundamentaldaten an den Märkten versus einer ungeordneten Dynamik“, sagte Lane. Bei einer solchen Dynamik trennten sich Anleger von Wertpapieren, weil andere dies auch täten und sie nicht die letzten sein wollten. „Was wir am Finanzmarkt sehen, ist eine Neubewertung, die aber nicht in die Welt der ungeordneten Märkte fällt im Augenblick“, sagte er. Auf die politische Situation in Frankreich ging er zwar nicht direkt ein. Er merkte aber an, dass alle Regierungen in Europa das finanzpolitischen Rahmenwerk der Europäischen Union einhalten und einen Dialog mit der Europäischen Kommission führen müssten.
Französische Anleihen abgestoßen
Insidern zufolge haben die Euro-Wächter der EZB keine Pläne, über Notkäufe französischer Staatsanleihen zu diskutieren. Die EZB verfügt über ein Anleihenkauf-Instrument mit dem Namen „Transmission Protection Instrument“ (TPI), das zur Stützung in Bedrängnis geratener Länder eingesetzt werden kann. Es kann aktiviert werden, um ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken entgegenzuwirken, ist aber an bestimmte Bedingungen geknüpft.
Anleger trennten sich im Vorfeld der Neuwahlen, die dem euroskeptischen und rechtsextremen Rassemblement National (RN) Umfragen zufolge eine Mehrheit bescheren könnte, in größerem Umfang von französischen Wertpapieren. Der Risikoaufschlag, den Anleger für französische Staatsanleihen verlangen, war zum Wochenausklang auf den höchsten Stand seit mehr als vier Jahren geklettert. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire hatte gewarnt, das Land könne in eine Finanzkrise schlittern, sollten extreme Parteien die Wahlen am 30. Juni und 7. Juli gewinnen.
Wie geht‘s mit den Zinsen weiter?
Lane äußerte sich zudem optimistisch, dass die Inflation in der 20-Länder-Gemeinschaft 2025 zur Notenbank-Ziel-Marke zurückkehren wird. „Es gibt eine Menge Zuversicht, was das Ziel in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres angeht“, sagte er. Der jüngste Anstieg der Inflation im Mai auf 2,6 Prozent von 2,4 Prozent im April und das unerwartet kräftige Lohnwachstum im Euroraum zu Jahresbeginn hatten bei manchen Analysten Zweifel aufkommen lassen, ob sich die Teuerung wie von der EZB vorausgesagt abschwächen wird.
Der Chefvolkswirt hielt sich bedeckt dazu, wie oft die EZB in diesem Jahr die Zinsen senken könnte. Er merkte aber an, dass die Notenbank auf ihrer kommenden Sitzung am 18. Juli nicht über alle Informationen verfüge. Ein Inflationstreiber sei die Inflation im Dienstleistungssektor. „Ich denke, dies ist ein Beispiel dafür, dass wir sehen müssen, dass die Dynamik in der zweiten Jahreshälfte nachlässt.“ Dienstleistungen hatten sich im Mai um 4,1 Prozent verteuert, nachdem der Preisanstieg im April noch bei 3,7 Prozent gelegen hatte.