Eine bemerkenswerte Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof (OGH) hinsichtlich eines Polizeibeamten getroffen, der im Internet Opfer eines sogenannten Shitstorms wurde. Ein Mann, der auf Facebook einen Beitrag mit dem Foto des Polizisten geteilt hatte, mit welchem dem Beamten amtsmissbräuchliches Verhalten unterstellt wurde, wurde zur Zahlung von 3000 Euro als Ersatz für den durch die Verstöße gegen Datenschutz und Bildnisschutz verursachten Schaden verpflichtet.
Der Polizist war im Februar 2021 bei einer Demonstration gegen die Covid-19-Maßnahmen in Tirol im Einsatz und wurde dabei fotografiert bzw. gefilmt. Ihm wurde unterstellt, er hätte einen 82-jährigen Mann zu Boden gerissen, verhaftet und stundenlang verhört. „Lasst dieses Gesicht des Polizisten um die Welt gehen. (…) Dieser Polizist ist schuldig“, hieß es in dem Facebook-Beitrag, der zumindest hundertfach geteilt wurde. 406 Personen konnte der Beamte den gerichtlichen Feststellungen zufolge ausfindig machen.
Polizei nahm nicht an Amtshandlung teil
Tatsächlich war der abgebildete Polizist nur Glied einer polizeilichen Absperrkette gewesen und hatte gar nicht an der Amtshandlung gegenüber dem 82-Jährigen teilgenommen. Der Betroffene klagte mehrere Facebook-User, die unter ihren Klarnamen das Ursprungsposting nicht auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft, geteilt und mit abschätzigen Bemerkungen zu seiner Person versehen hatten. Den Vorwurf, er habe Polizeigewalt ausgeübt, empfand der Beamte als herabwürdigend und beschämend. Er, seine Schwester und seine Mutter wurden von Freunden und von mehreren Polizeikollegen auf das Facebook-Posting angesprochen. Auch sein ehemaliger Postenkommandant erlangte davon Kenntnis und wollte wissen, was beim Einsatz „los gewesen“ sei.
Von einem User, der den Beitrag sechs Tage lang auf seinem Facebook-Profil online belassen hatte, begehrte der Polizist Ersatz für den immateriellen Schaden aufgrund des über ihn hereingebrochenen Shitstorms. Die Vorinstanzen sprachen dem Beamten vorerst nur 450 Euro zu, einer von ihm eingebrachten Revision gab der OGH aber teilweise Folge. Er bekam die gesamten geltend gemachten 3000 Euro zugesprochen.
Gesamtschaden vorweg zu bezahlen?
„Nach ausführlicher Auseinandersetzung mit Fragen des Nachweises der Verursachung und der (Un-)Teilbarkeit des durch einen Shitstorm herbeigeführten Schadens kommt der Oberste Gerichtshof zum Schluss, dass das Opfer eines Shitstorms nicht zu jeder von ihm erlittenen Kränkung oder Gefühlsbeeinträchtigung, etwa durch Konfrontation damit in seinem Umfeld, die konkrete ‚Quelle‘ der herabsetzenden Äußerung als Ursache benennen und belegen muss. Es genügt der Nachweis des Klägers, Opfer eines Shitstorms gewesen zu sein, und dass sich der konkret belangte Schädiger daran rechtswidrig und schuldhaft beteiligt hat“, wird auf der OGH-Webseite das Erkenntnis zusammengefasst, das unter der Geschäftszahl 6 Ob 210/23k im RIS abrufbar ist.
Die mit einem Shitstorm einhergehende Unaufklärbarkeit der Verursachung einzelner Folgen und die Unteilbarkeit des Schadens hätten die Schädiger „mit der Konsequenz zu tragen, dass das Opfer den Ersatz für den gesamten Schaden im Wege der Solidarhaftung berechtigt auch nur von einem von ihnen verlangen kann“, betont der OGH. Die Schwierigkeit, andere Schädiger ausfindig zu machen, und das Risiko einer allfälligen Uneinbringlichkeit bei einzelnen Schädigern hätten die Schädiger individuell zu tragen: „Die einzelnen Poster, die zumindest teilweise untereinander vernetzt sind und wissen, an welche ‚Freunde‘ sie den Beitrag weitergeleitet haben, haben die Schadensaufteilung im Regressweg untereinander vorzunehmen.“
Damit stellt der OGH klar, dass eine Beteiligung an einem Shitstorm in Zukunft teuer werden kann. Denn wer am Hass im Netz mitmacht, muss damit rechnen, dass er den vom Opfer geltend gemachten Gesamtschaden vorweg zur Gänze selbst berappen muss und sich in weiterer Folge selbst um die Aufteilung unter den anderen Schädigern zu kümmern hat.