Eigentlich hätte die entsprechende EU-Richtlinie bereits bis Ende 2022 in Österreich umgesetzt werden müssen, lange tangierte das hierzulande aber kaum. Für wirkliche Bewegung sorgte erst ein Vertragsverletzungsverfahren, das die EU-Kommission gegen Österreich einsetzte.

„Der Gesetzgeber ist in Verzug. Das hat wohl einen politischen Hintergrund“, sagt dazu Patrick Mittlböck, Anwalt bei Brandl Talos Rechtsanwälte. Jetzt aber ist rege Bewegung zu vernehmen. Das Justizministerium präsentierte einen Gesetzesentwurf, Ende Mai lief die Begutachtungsfrist aus. Am Mittwoch wurde das Vorhaben im Ministerrat abgesegnet, noch im Juli soll das Gesetz zur neuen Verbandsklage dann im Nationalrat beschlossen werden.

Handelsgericht Wien als Drehscheibe

Warum das so bedeutend ist? Nun, bisher wurden die Schäden von mehreren Konsumentinnen und Konsumenten meist über eine vergleichsweise komplizierte „Sammelklage österreichischer Prägung“ gesammelt. Egal ob es sich um Kollektivinteressen von Verbrauchern in Sachen Datenschutz, Finanzdienstleistungen, Reisen und Tourismus, Energie oder Telekommunikation handelte.

Patrick Mittlböck
Patrick Mittlböck © Brandl Talos Rechtsanwälte

Wodurch sich die neue Form der europäischen Verbandsklage unterscheidet? „Die Möglichkeit zur Verbandsklage ist schon ein beträchtlicher Schritt. Sie erleichtert die Durchsetzung von vielen einzelnen Ansprüchen auf Leistung durch eine Einrichtung immens“, sagt Mittlböck. So gebe es ab sofort etwa eine einheitliche Gerichtszuständigkeit, angesiedelt am Handelsgericht Wien. Auch müssen Ansprüche nicht mehr einzeln an Verbraucherschutzorganisationen abgetreten werden.

„Ansprüche rasch geltend machen“

Von einem „Meilenstein der Rechtsdurchsetzung“ spricht deswegen gar Ulrike Fischer, bei den Grünen für den Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten zuständig. Das, durchwegs plakative, Beispiel der Politikerin: Wenn auf einer Kreuzfahrt 200 Personen an Brechdurchfall erkranken, sei es künftig „weder notwendig, 200 Verfahren zu führen, noch alle Einzelklagen an einen Sammelkläger abzutreten“. Es können nun „alle 200 geschädigten Personen ihre Ansprüche direkt und rasch in einem gemeinsamen Verfahren geltend machen“.

Ulrike Fischer (Die Grünen)
Ulrike Fischer (Die Grünen) © APA / Eva Manhart

Entscheidend ist, dass die Klage künftig von sogenannten „qualifizierten Einrichtungen“ eingebracht wird. In Österreich zählen Arbeiter-, Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer sowie ÖGB, Seniorenrat und der Verein für Konsumenteninformation (VKI) dazu. Auch der VSV und Cobin Claims streben den Status an. Um diesen zu erreichen, müssen einige Anforderungen erfüllt werden. So ist es etwa notwendig, bereits zwölf Monate vor der Antragsstellung eine „öffentliche Tätigkeit zum Schutz von Verbraucherinteressen“ ausgeübt wurde.

Unterlassung, Abhilfe, Vergleich

Bewirken soll die Verbandsklage, sie kommt in verschiedenen Ausprägungen, Unterlassungsentscheidungen, also das Verbot einer gewissen Praktik, oder Abhilfemaßnahmen („Erstattung, Ersatz, Reparatur“, wie die EU-Kommission schreibt). Außerdem können Verbraucher auch von einem „kollektiven Vergleich“ profitieren. Erzielt wird dieser von der qualifizierten Einrichtung und dem Beklagten. Konzipiert ist die Klage für mindestens 50 Betroffene.

Nicht zuletzt wird mit dem neuen Gesetz auch die Drittfinanzierung solcher Verfahren, etwa durch Prozessfinanzierer, „explizit ermöglicht“, wie Anwalt Mittlböck schildert. Früher wäre „in diesem Segment viel ungeregelt gewesen“.

In Summe glaub der Jurist, dass mit der neuen Verbandsklage die bekannte Sammelklage österreichischer Prägung, wo Ansprüche abgetreten werden, jedenfalls zum „Auslaufmodell“ avanciert. Patrick Mittlböck rechnet mit starker Nachfrage nach der neuen Klagevariante: „Die Anwendungspalette wird breit werden. Egal, ob es um Servicepauschalen bei Mobilfunkern, Kreditbearbeitungsgebühren bei Banken oder Index-Klauseln in Mietverträgen geht“.