Die klare Signalsetzung der EZB in den vergangenen Wochen für eine erste Zinssenkung im Juni wird von manchen konservativen Währungshütern Insidern zufolge im Nachhinein als keine gute Idee angesehen. Einige Euro-Wächter, die üblicherweise einer straffen Geldpolitik zuneigen, hätten am Donnerstag ihr Bedauern zum Ausdruck gebracht, dass eine bevorstehende Zinssenkung zu deutlich signalisiert worden sei, sagten vier Insider der Nachrichtenagentur Reuters.

Wäre dies nicht geschehen, hätten diese Notenbanker dafür votiert, an den Schlüsselsätzen nicht zu rütteln. Die Europäische Zentralbank (EZB) lehnte eine Stellungnahme zu den Informationen ab. Aber: Schon EZB-Chefin Christine Lagarde machte bei der offiziellen Pressekonferenz klar, dass es bei der Abstimmung im Rat tatsächlich einen Abtrünnigen gab. Mittlerweile ist bestätigt, dass es sich dabei um Robert Holzmann, Chef der Österreichischen Nationalbank (OeNB), handelt.

Einziger Abweichler? „Soweit ich weiß, ja“

Holzmann führte im Rahmen einer OeNB-Pressekonferenz zur gesamtwirtschaftlichen Prognose am Freitag, dass die „überraschenden Prognosen“ zu den Debatten im EZB-Rat geführt hätten. So sei die Inflation in der Euro-Zone zuletzt wieder leicht gestiegen – das EZB-Ziel von zwei Prozent werde erst 2026 erreicht. Der Kampf gegen die Inflation sei noch nicht gewonnen, so Holzmann, der u. a. auch auf zuletzt stärkeres Lohnwachstum sowie schwächeres Produktivitätswachstum in der Euro-Zone verweist. Hinzu kommen zahlreiche geopolitische Risiken, so Holzmann. Auch der Zinsabstand zu den USA müsse im Blick behalten werden. War er tatsächlich der einzige „Abweichler“ bei der Ratssitzung? „Soweit ich weiß, ja“, so Holzmann mit einem Schmunzeln.

„Inflation klebriger, als viele vermuten“

Die Gefahr einer zweiten Inflationswelle sehe er im Moment aufgrund der ökonomischen Dynamik zwar nicht. Holzmann gibt aber zu bedenken: „Die Inflation ist klebriger, als viele vermuten.“ Das zeige sich eben daran, dass die Inflationsprognosen noch länger über dem EZB-Zielwert liegen.

Er habe „ein Signal setzen“ wollen, weil der Zeitpunkt der Zinssenkung zu früh sei, sagte Holzmann. Wie geht‘s weiter? Ob und wann es zu weiteren EZB-Zinssenkungen kommen könnte, kommentierte OeNB-Gouverneur und EZB-Rat Holzmann nicht. Er hoffe aber, dass die nächsten Zinssitzungen und die Entscheidungen „wieder voll datengetrieben sein werden“, so Holzmann. Im Juli bei der nächsten EZB-Ratssitzung gebe es keine neuen Daten, daher sollte es auch keine „Entscheidungsmöglichkeit“ geben. „Die September-Daten werden wir sehen.“

Erste Senkung seit fünf Jahren

Holzmanns Gegenstimme im EZB-Rat überrascht auch insofern wenig, als er sich in den letzten Wochen immer wieder gegen schnelle Zinssenkungen aussprach. Im Team des Gouverneurs heißt es nun, dass die vorgelegenen Daten nicht für die Entscheidung zu einer Senkung ausgereicht hätten.

Kritik am geldpolitischen Kurs von Holzmann äußerten ÖVP und Ex-Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ). Der auf einem FPÖ-Ticket sitzende OeNB-Gouverneur würde „in keinster Weise die Interessen der Bevölkerung verstehen“, kritisierte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker in einer Aussendung. Die Zinssenkung stärke das Wirtschaftswachstum und werde „durch günstigere Kreditvergaben, insbesondere im Bausektor, für deutliche Verbesserungen sorgen“, so Stocker. „Jeder der auch nur ein bissl mit der Realwirtschaft zu tun hat, weiß wie grotesk das ist und schadet“, schrieb Ex-Bundeskanzler Kern auf „X“ (vormals Twitter) zur Zinssenkungs-Ablehnung von Holzmann.

Dennoch beschloss die EZB auf ihrer Zinssitzung am Donnerstag erstmals seit fast fünf Jahren wieder die Zinsen zu senken. Den am Finanzmarkt maßgeblichen Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken von Geld bei der Notenbank erhalten, verringerte sie auf 3,75 Prozent von bisher 4,00 Prozent.