Nach zehn Zinserhöhungen zwischen Sommer 2022 und Herbst des Vorjahres ist Schluss: Die Europäische Zentralbank läutet abermals eine Zinswende ein und senkt erstmals seit 2019 Zinsen. Und zwar dieses Mal um 0,25 Prozentpunkte. Möglich machen dies abfallende Inflationsraten, also Preise, die im Jahresabstand nicht mehr so stark steigen wie noch vor ein paar Monaten.

Die EZB hielt den Einlagensatz, den Geldhäuser erhalten, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken, seit September 2023 auf dem Rekordniveau von 4,0 Prozent. Der Leitzins, zu dem sich Banken frisches Geld bei der EZB besorgen können, betrug 4,5 Prozent. Jetzt werden die Zinssätze auf 3,75 und 4,25 Prozent abgesenkt.

Welche konkreten Auswirkungen das für Menschen in Österreich hat? Vereinfacht gesagt, werden – mit Verzögerung – Spar- und Kreditzinsen sinken. Aber natürlich nur bei Krediten mit einer variablen Verzinsung.

EZB rechnet weiter mit hoher Inflation

„Seit der Sitzung des EZB-Rats im September 2023 ist die Inflation um mehr als 2,5 Prozentpunkte zurückgegangen“, begründet die EZB jetzt die Entscheidung zum Absenken. Zugleich räumt die Bank ein, dass der „binnenwirtschaftliche Preisdruck angesichts des kräftigen Lohnwachstums nach wie vor hoch ist“. Deswegen rechnet die EZB damit, dass die Inflation „bis weit ins nächste Jahr über dem Zielwert bleiben dürfte“. Dieser liegt bei zwei Prozent.

Die jüngsten Projektionen für die Gesamt- und die Kerninflation für die Jahre 2024 und 2025 wurden gegenüber den März-Projektionen jedenfalls nach oben korrigiert. Die Fachleute erwarten nun eine Gesamtinflation von durchschnittlich 2,5 Prozent für 2024, 2,2 Prozent für 2025 und 1,9 Prozent für 2026. Der EZB-Rat sei „entschlossen, für eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen Ziel von 2 Prozent zu sorgen“, wie es in einer Aussendung heißt. Um dieses Ziel zu erreichen, werde man die Leitzinsen „so lange wie erforderlich ausreichend restriktiv halten“. Im Voraus werde man sich „nicht auf einen bestimmten Zinspfad festlegen“.

Mit ihrem Schritt nach unten folgt die EZB den Notenbanken in Kanada, der Schweiz und in Schweden, die bereits die Zinsen gesenkt haben. Die einflussreiche US-Notenbank Federal Reserve hält sich bisher noch bedeckt, weil sich die Inflation in den Vereinigten Staaten zuletzt als weiterhin sehr stark erwiesen hat.

Kritiker warnen vor anziehender Inflation

Beim wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria löst die Entscheidung der EZB heute keine Freude aus. „Dieser Schritt kann für die Eurozone zum Verhängnis werden“, heißt es gar von Agenda-Ökonom Hanno Lorenz. Und weiter: „Obwohl die Preisdynamik zu Beginn des Jahres zurückging, erweist sich die aktuelle Inflation als hartnäckig.“ Die Vergangenheit hätte gelehrt, dass „zu frühe Zinssenkungen die Inflation wieder befeuern“. Außerdem würden „Staatshilfen noch immer die wahren Preise verzerren.“

Anderes Institut, andere Meinung: Die EZB sei „zu spät dran“, befürchtet indes Oliver Picek, Chefökonom beim gewerkschaftsnahen Momentum-Institut. Die Inflation sei „rapide gefallen“, die EZB solle die Zinsen deswegen „schneller senken“. Die Realzinsen, so Picek, seien „so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr“. Zugleich bleibe „das Wachstum in der Eurozone und vor allem in Österreich unter seinem Potenzial“. Raschere Zinssenkungen, so das Fazit des Ökonomen, „könnten den Zustand der europäischen Wirtschaft verbessern“.

Sehen Sie hier die Erklärungen von EZB-Chefin Christine Lagarde im Original-Ton: