Es war jede Menge Stolz, die im September 2019 mitgeschwungen ist: Österreichs Sozialpartner haben sich damals auf den ersten eigenen Kollektivvertrag (KV) für Fahrradzusteller geeinigt. Nach eigenen Angaben handelte es sich um den weltweiten ersten KV für diese Branche. In Kraft getreten ist er für angestellte Fahrradboten und Essenszusteller schließlich ab 1. Jänner 2020. Neben einem Basislohn wurde darin auch Weihnachts- und Urlaubsgeld vereinbart. Monatelang hatten die Gewerkschaft vida und der Fachverband für das Güterbeförderungsgewerbe in der Wirtschaftskammer Österreich verhandelt, bis der Durchbruch gelungen ist.
Der Boom von Essenszustellungen, aber auch von Fahrradkurieren, die für große Paket-Lieferdienste in urbanen Gebieten mit Fahrrädern zustellten, zeichnete sich bereits ab. Und er erhielt in der Corona-Pandemie noch einmal gehörigen zusätzlichen Rückenwind. Die Gastronomie musste im Zuge der Lockdowns ihre Gasträume schließen, dafür lief das Geschäft mit Essenszustellungen bzw. Abholungen auf Hochtouren. Die Nachfrage war enorm, teilweise ist es zu Engpässen beim Personal gekommen.
Markt konsolidiert sich
Zwar ist der Boom nach der Pandemie nicht komplett abgeebbt, aber zwischenzeitlich zeigte sich, dass es fast zu viele Fahrerinnen und Fahrer für zu wenig Aufträge gab. Der Markt konsolidierte sich. Und der KV? Ist seit nunmehr Monaten Gegenstand erbitterter Verhandlungen. Schon im vergangenen Herbst – die Inflation war damals besonders hoch – wurde für höhere Löhne demonstriert. Die KV-Verhandlungen stocken seit Monaten, die Gewerkschaft vida fordert zumindest die Abdeckung der rollierenden Inflation in Höhe von 8,7 Prozent. Nach mehreren KV-Verhandlungsrunden lag das Angebot der Arbeitgeber laut Gewerkschaft weiter bei 5,8 Prozent. Nach Warnstreiks im März und in der vergangenen Woche, war es am Dienstagabend wieder so weit. In Wien wurde bei Lieferando und Foodora gestreikt, in Salzburg, Graz, Innsbruck und Klagenfurt vor Lieferando-Hubs.
Hart geführte – und von gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen begleitete – KV-Runden sind gerade in jüngerer Vergangenheit keine Seltenheit gewesen – wie sich im Herbst u. a. bei den Metallern und im Handel zeigte, aber auch jetzt in Teilen der Frühjahrslohnrunde, etwa der chemischen Industrie. Und auch die AUA-KV-Verhandlungen sind bis zur Einigung erbittert wie selten zuvor geführt worden, Streiks und Zehntausende Flugausfälle inklusive. Beim Fahrradboten-KV kommen aber weitere erschwerende Aspekte hinzu. Denn der Zwist geht über die klassischen Blöcke – Arbeitnehmervertretung gegen Arbeitgebervertretung – hinaus. Auch innerhalb der Arbeitgeber, das wird deutlich, tun sich Gräben auf.
KV gilt nur für rund die Hälfte der Boten
Der KV für die Fahrradboten ist aktuell nur für rund die Hälfte der in Österreich arbeitenden Fahrradlieferanten gültig, viele sind als freie Dienstnehmer beschäftigt. Insgesamt gibt es in Österreich rund 4500 Fahrradboten und nur etwa 2000 davon sind auch nach Kollektivvertrag angestellt. Erklärtes längerfristiges Ziel der Gewerkschaft vida ist es, mehr Beschäftigte in der Branche in den KV zu bringen. Die freien Dienstnehmer seien Scheinselbstständige in prekären Arbeitsverhältnissen ohne geregelte Arbeitszeiten, so die Kritik.
Doch auch der Zustelldienst Lieferando, der seine Beschäftigten fast zur Gänze nach dem KV anstellt, ist über den Status quo alles andere als erfreut. So sind beim Mitbewerber Foodora laut Angaben des Unternehmens rund 95 Prozent freie Dienstnehmer. Beim finnischen Anbieter Wolt gibt es nur freie Dienstnehmer und Selbstständige. Lieferando sieht sich dadurch im Nachteil: Man zahle bereits hohe Löhne und biete eine sichere Festanstellung nach Kollektivvertrag und habe daher höhere Personalkosten als die Konkurrenz. Jede Lohnerhöhung treffe aber „einseitig Anbieter mit Kollektivvertragsbindung“ und verschärfe die Wettbewerbsvorteile der anderen Anbieter, teilte das Unternehmen zuletzt mit. Lieferando fordert jedenfalls in die eigene Branche hinein gerichtet: „Österreichs Fahrradboten und Kollektivvertrag-Arbeitgeber brauchen zuerst faire Wettbewerbsbedingungen durch vergleichbare Beschäftigungsmodelle für vergleichbare Arbeit bei vergleichbaren Anbietern.“ Einseitige Lohnerhöhungen würden nur zu noch mehr freien Dienstnehmern und prekären Arbeitsverhältnissen führen, was schließlich die Sozialsysteme und den Steuerzahler belaste.
„Viele ziehen die Flexibilität des freien Dienstverhältnisses vor“
Foodora merkt unterdessen an, kein aktiver Teil des KV-Verhandlungsteams zu sein. Man bringe ich aber ein und wünsche sich einen raschen Kompromiss, „den auch wir selbstverständlich mittragen werden“. Foodora führt aber auch aus, dass die Fahrradboten das freie Dienstverhältnis selbst bevorzugen würden. Sie hätten die Wahl zwischen einer normalen Anstellung und einem freien Dienstverhältnis, die meisten würden die Flexibilität des freien Dienstverhältnisses vorziehen. Diese freien Dienstnehmer seien bei Foodora zudem kranken-, unfall-, pensions- und arbeitslosenversichert und erhielten einen Stundenlohn von durchschnittlich 13,20 Euro exklusive Trinkgeld. Im Vorjahr sei die durchschnittliche Bezahlung um zehn Prozent erhöht worden, so Foodora.
Wie es nun weitergeht, ist noch offen. Nachdem die vida mit immer kürzeren Warnstreik-Intervallen den Druck erhöht, wartet man auf einen neuen KV-Gesprächstermin.