EZB-Chefvolkswirt Philip Lane plädiert aufgrund der unsicheren wirtschaftlichen Aussichten dafür, sich in der Geldpolitik nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad festzulegen. Dies sei eine robuste Herangehensweise an Zinsentscheidungen in einem von hoher Unsicherheit geprägten Umfeld, sagte der oberste Volkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag in einem Vortrag an Stanford Graduate School of Business in den USA.
Auch müsse vermieden werden, ungerechtfertigte Erwartungen hinsichtlich der Zinsentwicklung zu schüren. „Es ist am besten, sich nicht auf einen im Voraus bestimmten Pfad für Zinsentscheidungen festzulegen und sich Optionen zu bewahren“, führte er aus.
Lane wies darauf hin, wie wichtig es sei für die Währungshüter, vor jeder Zinsentscheidung genügend wirtschaftliche Daten zu erhalten. Sich von Sitzung zu Sitzung zu bewegen und von Projektionen zu Projektionen mache es möglich, immer mehr Daten anzuhäufen, was dabei helfen könne, Zinsentscheidungen zu treffen, führte er aus. Die EZB veröffentlicht vier Mal im Jahr - im März, im Juni, im September und im Dezember - zu ihren Zinssitzungen Konjunktur- und Inflationsprognosen ihrer Volkswirte. Diese Projektionen sind stets eine wichtige Entscheidungshilfe für die Währungshüter. Der nächste Zinsentscheid der EZB steht auf der Sitzung am 6. Juni an.
Österreich weit über Euro-Durchschnitt
Lane zufolge bedeutet eine Beibehaltung der Zinssätze bei sinkenden Inflationserwartungen einen Anstieg der Realzinsen. Die Auswirkungen früher Zinserhöhungen würden sich immer noch in der Wirtschaft entfalten, sagte er. Eine ganze Reihe von Währungshütern hatte zuletzt bereits eine erste Zinssenkung auf der Juni-Sitzung anvisiert, sollten die wirtschaftlichen Daten das hergeben. Am Mittwoch hatte der französische Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau nach Veröffentlichung der jüngsten Inflationsdaten für die Euro-Zone mitgeteilt, diese bestätigten seine Zuversicht, dass die EZB im Juni die Zinsen senken könne. Die Teuerungsrate in der 20-Länder-Gemenaschaft lag im April wie im März bei 2,4 Prozent. Österreich lag mit einer Inflationsrate von 3,5 Prozent im April weiterhin deutlich über dem Durchschnitt der Eurozone.
Holzmann gegen weitere Zinssenkung im Juli
Wie viele andere EZB-Währungshüter sagte auch OeNB-Gouverneur Robert Holzmann kürzlich in einem Interview, dass er eine Zinssenkung im Juni unterstützen würde. Zugleich positionierte er sich gegen eine weitere Zinssenkung bereits im Juli. „Ich sehe keinen Grund, warum wir gleich zwei Schritte hintereinander setzen sollten“, sagte das EZB-Ratsmitglied am Dienstag dem „Platow Brief“ unter Verweis darauf, dass erst im September die nächsten Konjunktur- und Inflationsprognosen der EZB-Volkswirte veröffentlicht werden. Nach einer Reihe von raschen Zinserhöhungen zur Bekämpfung der Teuerungskrise liegt der Leitzinssatz in der Eurozone derzeit bei 4,5 Prozent.
„Drei Zinssenkungen 2024“
Griechenlands Notenbankchef Yannis Stournaras geht aufgrund der jüngsten Konjunkturdaten für den Euroraum von drei Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) in diesem Jahr aus. „Ausgehend von diesen Daten halten wir 2024 nun drei Zinssenkungen für das wahrscheinlichste Szenario“, sagte Stournaras dem griechischen Nachrichten-Portal „Liberal“ in einem in der Nacht zum Freitag veröffentlichten Interview.
Die Wachstumszahlen für das erste Quartal seien eine positive Überraschung gewesen. Noch zu Jahresbeginn war am Finanzmarkt mit vier Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) in diesem Jahr gerechnet worden. Die Wirtschaft der Eurozone war im ersten Quartal wieder in die Wachstumsspur zurückgekehrt und legte von Jänner bis März gegenüber dem Vorquartal um 0,3 Prozent zu.
Start im Juni
„Wenn dieses Wachstumstempo anhält, ist es wahrscheinlich, dass der Anstieg der Verbraucherpreise geringfügig größer ausfallen wird als in unseren Prognosen vom März, aber ohne das Zwei-Prozent-Ziel Mitte 2025 zu gefährden“, sagte Stournaras, der im EZB-Rat sitzt, der über die Zinsen im Euroraum entscheidet. Die EZB geht laut den jüngsten Wirtschaftsprognosen ihrer Volkswirte vom März davon aus, dass die Inflation Mitte 2025 wieder zur Notenbank-Zielmarke von 2,0 Prozent zurückkehrt. Im April lag die Teuerungsrate in der Eurozone wie schon im März bei 2,4 Prozent.
Stournaras zufolge ist mit einer ersten Zinssenkung im Juni zu rechnen. Abhängig von den Inflationsdaten sei auf der darauffolgenden Zinssitzung im Juli dann ein weiterer Schritt nach unten möglich. Nach dem Sommer werde geschaut. Österreichs Notenbank-Chef Robert Holzmann hatte hingegen jüngst dafür plädiert, nach einer ersten Zinssenkung im Juni auf der Juli-Sitzung erst einmal eine Pause einzulegen. Er sehe keinen Grund dafür, gleich zwei Schritte hintereinander zu gehen.