Für Mercedes-Chef Ola Källenius ist es so etwas wie ein Heimspiel. Auch wenn er fast 8000 Kilometer Luftlinie von Stuttgart entfernt in Peking das Gespräch beginnt. Rund 750.000 Einheiten habe man in China im Jahr 2023 verkauft. „Wenn man sieht, was wir hier aufgebaut haben, dann ist es beachtlich“, erzählt Källenius.
Aber es ist nicht alles eitel Wonne. In China, dem größten Automarkt der Welt, ging der Pkw-Absatz des Konzerns um zwölf Prozent zurück. Die Zurückhaltung am Markt ist spürbar, dagegen setzt man eine Modelloffensive. Der in Graz gebaute elektrische G feierte in Peking seine Weltpremiere. „Es ist richtig, dass die chinesischen Konsumenten Zurückhaltung zeigen, das kommt noch aus der Pandemie heraus. Wenn man die volkswirtschaftlichen Daten beobachtet, dann sieht man eine Sparrate von über 30 Prozent. Da wird vielleicht sogar der Schwabe neidisch“, schmunzelt Källenius in die Runde.
Um ernsthaft fortzusetzen: „Wir haben hier eine unglaubliche Wettbewerbs-Intensität. Es macht keinen Sinn für eine Marke wie Mercedes jetzt deshalb in andere Segmente zu gehen, sondern in diesem Wettkampf Schritt für Schritt organisch zu wachsen. Wenn der Markt aufgrund makrowirtschaftlicher Rahmenbedingungen etwas ruhiger ist, sollte man nicht dagegen ankämpfen. Sondern mit dem Markt leben.“
Apps, Software und die jüngsten Kunden
Und die Marktgröße ist gewaltig: Es ist die schiere Größe der chinesischen Volkswirtschaft, die bald über eine Mittelschicht von 800 Millionen Menschen verfügen wird. Inzwischen hat Mercedes ein weiteres Forschungszentrum in Shanghai ausgebaut und beschäftigt rund 2000 Ingenieure in China, das damit nach Deutschland der zweitgrößte Entwicklungsstandort des Konzerns ist. An deren Hauptthemen kann man den Wandel in der Autobranche ablesen: Software, Spracherkennung und natürlich die Einbindung des Autos in die Apps der chinesischen Kunden. Denn die Kunden seien jünger als im Rest der Welt, hier startet der Käufer in der Luxusklasse außergewöhnlich jung. Laut Statista sind die 25- bis 34-Jährigen mit 41 Prozent Anteil am Gesamt-Mercedes-Verkauf in China das stärkste Klientel. Mit der Bedeutung des ganzen Marktes kommt es auch zu ungewöhnlichen Allianzen: Zusammen mit dem deutschen Erzrivalen BMW will Mercedes im Land ein eigenes Ladenetzwerk anbieten.
Karaoke im Mercedes
Kooperationen mit zum Beispiel anderen chinesischen Herstellern sieht Källenius differenziert. Partnerschaften mit dem Joint-Venture-Partner BAIC – der Autobauer gehört der Pekinger Lokalregierung und ist auch der größte Mercedes-Aktionär – seien eine eigene Sache. Auch die 10-Prozent-Beteiligung an dem Gemeinschaftsunternehmen Denza mit dem lokalen Platzhirschen BYD.
Aber es werde keine Autos geben, die einen Mercedes-Stern tragen, aber von einem anderen Hersteller stammen. Källenius fokussiert stattdessen auf technologische Partnerschaften: „Das ist wie ein Symphonieorchester zu orchestrieren. In China und auf der ganzen Welt wählen wir die besten Techpartner aus. Wenn der chinesische Kunde eine bestimmte Karte in der Navigation haben will, dann integrieren wir diese in einem Mercedes. Und wenn der chinesische Kunde in seinem Mercedes Karaoke singen möchte dann kriegt er das auch.“
Gegen Protektionismus, für den Freihandel
Das heißeste Thema derzeit sind freilich die Strafzölle. Die EU hat ja Inspektoren ausgeschickt, um zu überprüfen, ob E-Autobauer in China unzulässig von staatlichen Subventionen profitieren. Die EU-Wettbewerbshüter ziehen mögliche Strafzölle zum Schutz der europäischen Hersteller in Betracht. Ola Källenius hat für sich einen ganz anderen Ansatz gefunden: „Jeder Unternehmer hat das Gen in die Welt zu gehen und in jedem Markt der Welt sein Glück zu versuchen und zu wachsen. Alle haben das gemacht, die Europäer, die Amerikaner , die Japaner, die Koreaner, und jetzt die Chinesen. Dass das passiert ist normal.“ Natürlich gelte es protektionistische Strömungen einzudämmen. Es gehe darum mit den anderen Wirtschaftsregionen so zu verhandeln, dass man möglichst einen vernünftigen Ausgleich schafft.
Null Zölle in alle Richtungen
Källenius erklärt, das Förderungen und Incentives immer „Teil des Spiels“ gewesen seien, um den eigenen Markt zu entwickeln. Die WTO müsse nur darauf achten, dass das nicht Überhand nimmt. Er bezeichnet es als seinen „bescheidenen Vorschlag, umgekehrt zu denken“, und die Abschaffung aller Zölle in Erwägung zu ziehen. „Null in alle Richtungen!“, sagt er. Denn: „Führt China nach Europa ein, sind zehn Prozent Zoll angesagt. Von Europa nach China sind es 15 Prozent. Von den USA nach Europa sind es zehn Prozent, von Europa nach USA 2,5 Prozent.“
Was die deutschen Autohersteller brauchen
Eine „sinnvolle Angleichung“, um dem Thema Strafzölle zu entgehen, könnte laut Källenius helfen. Etwa, dass die Chinesen von 15 auf zehn Prozent Zoll reduzieren. Daran sieht man aber auch die ganze Komplexität des Themas: „Damit will ich aber nicht sagen, dass die USA von 2,5 Prozent auf zehn erhöhen sollen. Der größte Exporteur aus Europa in die USA sind die deutschen Automobilhersteller und die größten Exporteure aus den USA heraus zurück nach Europa sind die deutschen Hersteller. Deshalb hätten wir auch nichts dagegen, wenn die EU die Zölle von zehn auf zweieinhalb Prozent setzen würde.“ Eines sei aber klar: „Die Märkte zu schließen ist nicht die Antwort.“
Didi Hubmann