Die vergangenen Tage haben es einmal mehr eindrucksvoll vor Augen geführt: Teils starker Wind, vor allem in der Ostregion, haben für einen Rekord an Windstrom gesorgt – und der verfrühte „Sommereinbruch“ am Wochenende hat auch die Stromerzeugung über Photovoltaik massiv in die Höhe geschraubt. Mehr als nur ein Wermutstropfen: Bei weitem nicht zum ersten Mal ist auch der Fall eingetreten, dass „die Netzkapazitäten für den Transport in das übergeordnete Stromnetz nicht mehr ausreichen“, wie Gerhard Christiner, Vorstand der Austrian Power Grid AG (APG) betont. Der weitere Erfolg für die Energiewende entscheide sich vor allem in der Netzinfrastruktur. Für deren Ausbau hat Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) gemeinsam mit Christiner und Bernhard Painz, Vorstand der Austrian Gas Grid Management (AGGM), den sogenannten „Integrierten Netzinfrastrukturplan“ für Österreich, kurz ÖNIP, vorgestellt. Er ist der erste derart integrierte Plan in der Europäischen Union.

Dieser sei ein entscheidender Baustein für das Gelingen der Energiewende, unterstreicht Gewessler. Die Dekarbonisierungsziele zu erreichen, setze „einen Umbau des Energiesystems voraus, bei dem wir auf keine erneuerbare Kilowattstunde Energie verzichten werden können“. Um diesen Umbau des Energiesystems zu ermöglichen, sei ein massiver Aus- und Umbau der Energieinfrastruktur erforderlich.

„Überragendes öffentliches Interesse“ festgehalten

„Der ÖNIP bildet die Grundlage für den Aus- und Umbau der Netze, indem er Strom und Gase gemeinsam betrachtet und den zukünftigen Transportbedarf ausweist.“ Er wurde einer „strategischen Umweltprüfung“ unterzogen und hilft damit, die Genehmigungsverfahren für neue Anlagen zu beschleunigen“, sagt Gewessler. Das ÖNIP-Szenario zeige demnach auf, „wo unser Energiesystem weiterentwickelt werden muss, um verlässlich leistbare und erneuerbare Energieversorgung sicherzustellen. Eine wesentliche Rolle spielt hierbei die zunehmende Elektrifizierung des Energiesystems und die Integration erneuerbarer Gase“, also neben Biomethan auch Wasserstoff.

APG-Vorstand Gerhard Christiner, Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) und AGGM-Vorstand Bernhard Painz
APG-Vorstand Gerhard Christiner, Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) und AGGM-Vorstand Bernhard Painz © APA / Eva Manhart

Allein die APG hat in ihren – alle zwei Jahre vorgelegten (zuletzt im Dezember 2023) – Netzentwicklungsplan bis 2034 ein Investitionsvolumen von gut neun Milliarden Euro definiert. Dass die notwendigen Stromkorridore nun durch den ÖNIP als Projekte „in überragendem öffentlichen Interesse“ dokumentiert seien, sei eine wichtige Grundlage für Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP), so Christiner. Jahrzehnte lang dauernde Verfahren wie zuletzt bei der 380-KV-Leitung in Salzburg sollen damit der Vergangenheit angehören, weil die im ÖNIP ausgewiesenen Transportkorridore „überragendes öffentliches Interesse“ darstellen. Dass Österreich beim Netzausbau bzw. der Ertüchtigung der Stromnetzinfrastruktur schneller werden müsse, haben APG und heimische Netzbetreiber bereits häufig moniert. Christiner sieht im ÖNIP nun einen „wichtigen und außerordentlich großen Schritt“ in diese Richtung, „um die Energiewende ganzheitlich umsetzen zu können“. Mit dem ÖNIP sei der nächste erforderliche Schritt einer systemisch abgestimmten und mit dem Netzausbau koordinierten Detailplanung auf allen Ebenen des Energiesystems – von der Produktion über die Strom- und Gasinfrastruktur bis hin zu Energiespeichern, Mobilität, digitale Plattformen – zur Integration aller Akteure erfolgt. „Der ÖNIP ist das Basisdokument für uns, wie wir die Energiewende schaffen, ohne dass wir Irrwege gehen.“

Wasserstoff-Kernnetz

Das sieht man auch bei der Gasnetz-Gesellschaft AGGM so. „Eine leistungsstarke Gasinfrastruktur ist ein Garant für das Gelingen der Energiesystemwende“, betont AGGM-Vorstand Painz. Der ÖNIP hebe „die Notwendigkeit einer parallelen Infrastruktur von Wasserstoff und Methan hervor, damit die Integration von Biomethan und Wasserstoff in das Energiesystem vorankommen kann“. Mit Investitionen in Höhe von rund zwei Milliarden Euro könne aus dem bestehenden Gasnetz „großteils durch Umbau bestehender Leitungen das Wasserstoff-Kernnetz aufgebaut werden“, so Painz. „Das ist im Verhältnis ein relativ überschaubarer Betrag bis 2050“. Konkret gehe es um die Umwidmung bzw. Adaptierung von rund 1400 Kilometern bestehender Gasleitungen sowie zusätzlich 300 Kilometer an neuen Leitungen für Wasserstoff. Geplant sind auch Importe aus Italien über die TAG-Leitung und ein Anschluss in Bayern an den European Hydrogene Backbone. Einerseits sollen große Industriezentren an dieses Netz angeschlossen werden, zudem soll Österreich weiter eine Drehscheibe für internationalen Gashandel bleiben.  

Erarbeitet wurde der ÖNIP unter entscheidender fachlicher Mithilfe der Montanuni Leoben sowie der Technischen Universitäten in Graz und Wien. Zudem seien zahlreiche Stakeholder aus Energiewirtschaft, Umweltorganisationen, Sozialpartnern, Politik und Verwaltung in Bund und Ländern in den Prozess zur Erstellung einbezogen worden, wie es aus dem Energie- und Klimaschutzministerium heißt. An Terminen zum ÖNIP in allen Bundesländern haben jeweils Vertreterinnen und Vertreter von E-Control, AGGM und APG teilgenommen. 

Christiner verweist noch auf die Notwendigkeit rascher Beschlussfassungen des neuen Elektrizitätswirtschaftsgesetzes (ELWG) sowie des Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetzes (EABG). Gewessler zeigt sich nach wie vor zuversichtlich, dass es noch vor der Sommerpause zu einem Beschluss im Nationalrat kommt. Als entscheidend gilt dabei die SPÖ, die Gesetze und der ÖNIP brauchen eine Zwei-Drittel-Mehrheit.