Für Notenbanker-Verhältnis waren es durchwegs klare Ansagen, die da in den vergangenen Tagen zu vernehmen waren. Selbst Österreichs Nationalbank-Gouverneur und EZB-Ratsmitglied Robert Holzmann, ein Verfechter von straffen geldpolitischen Zügeln, hält Zinssenkungen im Juni mittlerweile für möglich. Und auch von EZB-Präsidentin Christine Lagarde gab es – für ihre Verhältnisse – recht deutliche Hinweise: Basierend auf den Wirtschaftsdaten werde die Europäische Zentralbank „voraussichtlich auf ihrer Sitzung am 6. Juni wohl ausreichend Sicherheit haben, um über eine erste Zinssenkung zu entscheiden“.

Bei der kommenden Zinssitzung am Donnerstag werden die europäischen Währungshüter den Einlagenzinssatz (vier Prozent) sowie den Leitzinssatz (4,5 Prozent) einmal mehr nicht antasten. Alles andere wäre eine faustdicke Überraschung. Die vor wenigen Tagen veröffentlichte Schnellschätzung hat für März eine durchschnittliche Inflationsrate von 2,4 Prozent in der Euro-Zone ermittelt. Damit rückt das EZB-Ziel von zwei Prozent in greifbare Nähe.

„Zinssenkung würde für Österreich jetzt zu früh kommen“

Die Argumente für eine Zinswende nehmen also zu. Wenngleich nicht im gesamten Euroraum. So könnte für Österreich selbst eine Zinssenkung im Juni noch zu früh kommen. Auch hierzulande geht die Inflation zurück, aber nur gemächlich – mit 4,2 Prozent im März liegt die Teuerung mehr als doppelt so hoch wie das EZB-Inflationsziel. „Die EZB orientiert sich an der Entwicklung im gesamten Euroraum. Würde sich die Geldpolitik der EZB an den Entwicklungen in Österreich alleine orientieren, würde sie sich sehr wahrscheinlich noch ein bisschen länger Zeit lassen“, unterstreicht der IHS-Ökonom und Inflationsexperte Sebastian Koch. Das sieht auch Christian Helmenstein, Chefvolkswirt der Industriellenvereinigung, so: „In gewissem Sinne würde eine Zinssenkung für Österreich jetzt zu früh kommen.“ Die über dem EU-Schnitt liegende Teuerung dürfte Österreich zudem noch eine Zeit lang erhalten bleiben.

Dass sich Erwartungshaltungen, Prognosen und Spekulationen rund um den geldpolitischen Kurs von Notenbanken auch sehr schnell wieder ändern können, zeigt sich derzeit eindrucksvoll in den USA. Es ist nicht allzu lange her, da wurden sechs Zinssenkungen für 2024 als wahrscheinlich angesehen. Zu Jahresbeginn waren es noch vier, dann drei . . . da sich die Inflation in den USA aber als hartnäckig erweist und noch immer knapp über drei Prozent liegt und der US-Arbeitsmarkt boomt, sind Zinssenkungen zuletzt wieder etwas in die Ferne gerückt. Zwar sieht Fed-Chef Jerome Powell die USA dennoch „auf Kurs Richtung Zinswende“. Es gibt aber auch andere Einschätzungen. Für einen regelrechten Schockmoment an den Börsen sorgte Ende der Vorwoche etwa der regionale Notenbankpräsident von Minneapolis, Fed-Mitglied Neel Kashkari. Sein Befund: Gerate der Fortschritt bei der Inflationssenkung ins Stocken komme es 2024 womöglich zu überhaupt keiner Zinssenkung in den USA. Mehr Aufschluss dürfte dann die nächste US-Zinssitzung am 1. Mai geben.

EZB-Zentrale in Frankfurt
EZB-Zentrale in Frankfurt © IMAGO/ingo kutsche